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Arbeit an mir selber

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andreasg:
Die Zeit lief, und ich lief mit ihr, die Flyer meines Freundes in der Hand, meistens doch nur bei Schönwetter, aber ich hatte mich mit Hartz IV abgefunden. Eine Freundin aus der Esssuchtgruppe hatte einen halbverwilderten 800 qm großen Garten - quer durch die Stadt Da bin ich manches Wochenende hingefahren, und habe vorrangig die Beete durchwühlt. Das Merkzeichen war die Wurzelkralle. Es war auch eine Arbeit, die die Muskelkraft und damit den Körper beanspruchte. Mittags haben wir gemeinsam gegessen und ab und zu flog ein kleiner Schein in meine leere Tasche. Es war eine schöne Zeit für mich, ich hatte Frieden gefunden. Im April 2006 hat mir meine Schwester einen Flug nach Stansted gebucht, endlich wieder einmal nach England reisen!
Da flatterte mir ein grauer Brief mit Rechtsbelehrung ins Haus. Ich solle zu diesem Termin an einer Fortbildungsmaßnahme teilnehmen. Schreck - Schock!, an  habe ich einen Freund aus meiner Spieler - SHG angerufen. Gemeinsam gingen wir zum JobCenter. Er war und ist ein Redekünstler, und so überzeugten wir die junge wohl sehr ehrgeizige Sachbearbeiterin, mich  zu einem späteren Zeitpunkt bei einem anderen, (unter uns kompetenteren) Bildungsträger anzumelden. Denn mir war ein Satz gesagt worden: "Arbeitslosigkeit ist ein Beruf". Ich ging immer noch zu meinem Therapeuten, der mit 68 Jahren aus der Kassenärztlichen Vereinigung ausgeschieden war, und bezahlte die Gruppentherapiesitzungen selber, d.H. durch Geldzuwendungen von meiner Mutter.
Ich habe die Zeit in Südengland sehr genossen und habe es lernen dürfen, wie sehr meine Schwester der Natur verbunden ist.
Die Flyer blieben im Karton, ich fuhr morgens in übervollen Stadtbahnen zu dem Bildungsträger. Das Besondere daran war die Personalcoachin, eine überkandidelte, etwas flippige Dame. Ich habe einen Narren an ihr gefressen und ihr aus der Hand futtert. Das ist ja nun einmal mein Drama. daß mich auf sondergleichen Frauen eine Magie gefangen hält. So habe ich ihr traumsäuselnd meine Spielsucht und mein Engagement in der Selbsthilfegruppe zugesäuselt. Es war für mich ein entscheidender Fehler. Das haben nur wirklich vertrauenswürdige Menschen zu erfahren, die das nicht für ihre Zwecke benutzen. Trotzdem habe ich meine Bewerbungsmappe neu gestaltet, und meinen Lebenslauf ergänzen können, ohne Angabe von SHG. Es gab bei dem Bildungsträger einen Dozenten, der auch Systemadministrator war. So hatten die Lehrgansteilnehmer viel Zeit. Die meisten spielten Solitär.. Ich hatte Glück, daß ich einen Platz neben einem Web-Designer bekam, der eigentlich nur aus tiefen persönlichen Gründen am der Fortbildung teilnahm. Wir erledigten die angebotenen Aufgabenblätter, um uns geistig fit zu halten. Das Zuhören der Lebensgeschichten auch eines dritten Teilnehmers , der sich zu uns beiden gesellte, wurde meine Kernbeschäftigung.Die Fortbildung mündete in einem Betriebspraktikum. Hier meldete sich wieder der Gruppenfreund, der mich zum ersten Bildungsträger brachte und nun einen eigenen kleinen Betrieb führte. Ratzfatz saß ich auf der anderen Seite und lernte das Geschäft der Transfergesellschaften kennen. Nur wie gesagt, auch er war spielsüchtig, und ich sah, daß es Schwierigkeiten mit dem Gled gab. Trotzdem stellte er mich ein, weil das Transfergesellschaftsgeschäft gut lief. Ich lernte nun bei einem gemeinsamen Besuch der Arbeitsagentur die Ausschreibungsverfahren für Fortbildungsmaßnahmen kennen, die aber unter dem Strich nichts brachten, weil ja bekanntermassen nur die kleinste Zahl darunter zählt...
Währenddessen hatte die Gartenfreundin eine Idee: Schriftliche Inventurmeetings abzuhalten. Wieder kam die Erinnerung an meine Klinikzeit hoch. Der Freund stellte uns abends dafür einen Raum zur Verfügung. Ich war natürlich in zwei Spielsuchtforen angemeldet, und konnte auch weitere Vorzüge des www in diese kleinen Workshops einbringen. Meine Mutter wurde 80 Jahre alt, ich besuchte sie regelmäßig auf dem Land und erkannte, daß sie bakd Pflege brauchte. Die Besuche bei ihr fielen mir nun immer schwerer, da noch eine Verantwortung auf mich zukam. Entspannung fand ich darin, daß ich an den Abenden durch die Stadt fuhr, zu den entlegenen Videotheken, dann aber gleich in die Hardcoreabteilung. Der Kick war weniger auf die inhaltsarmen Filme ausgerictet, als das "in latent Verbotenen" mir Loyalität der der Videotheksangestellten zu holen. Deren Laune, ein cooler Spruch, ein freundlicher Gruß gestalteten meine Abende freundlicher.
Ich will und kann nicht über das Ende des kleinen Bildungsträgers schreiben. Es ist ja das Geschäft des Freundes.Ich führte Gespräche mit der Wohnungsgenossenschaft, bat um Mietaufschub, hatte dabei aber immer das Gefühl, spielfrei zu sein. Ein Monatsgehalt hat dann im Bereich meiner Fix-und Lebenshaltungskosten meine Mutter bezahlt, ich ging zum Arzt und ließ mich krankschreiben, beantragte eine Therapie im Allgäu(!) konnte aber noch daheim nach Stellenangeboten für ehemalige Mitarbeiter einer Hausbaufirma in Minden recherchieren. Im nahen Espelkamp wurden Bautischler für Ladeneinrichtungen gesucht. Unbeeindruckt schickte ich die Recherche für den größten Arbeitgeber Ostwestfalens an die Protagonisten. So kam doch noch zweimal eine Geldgabe an mich via BaT auf die Tatze. Andernseits erfüllten mich wieder die Werbeflyer, nur ich nahm es weniger als Sport, mehr denn als leidige Pflichterfüllung hin. Nur wenn ich auf dem Lande war, die Schönwetterwolken mich begleiteten, dann kam doch wieder die ungestüme Lebens-Freude dabei wieder auf.

Am 10. November 2008 fuhr ich zu meiner Freude im durchgehenden Intercity in den Allgäu. Ich habe "Burn Out" in das Anmeldeformular der Klink geschrieben. Ich hatte die Schnauze randvoll und wollte nicht mehr arbeiten, nur noch in die Erwerbsminderungsrente gehen.

Fortsetzung folgt

andreasg:
Nach 5 1/2 Jahren seit meinem letzten Klinikaufenthalt hat sich einiges verändert. Ich wollte nicht mehr um jeden Preis von allen geliebt und gemocht werden, fühlte mich Willkommen und war doch distanziert. Die teilweise euphorische Begeisterung hat mich erst später erfasst. Ich war noch relativ gut zu Fuß, so konnte ich in den ersten 14 Tagen der Kontaktsperre mit einer Gruppe in den Ort zum Gottesdienst gehen, das ist mir bis zum Neujahr eine liebe Abwechslung und Erbauung geworden. Im Kern wollte ich nichts tun, nur demonstrieren, daß ich nichts mehr tun kann. Schlimm waren die morgendlichen Rituale: quasi aus dem Bett in einen engen ungelüfteten Meditationsraum, und dort 15 Minuten still vor mich hinstarren. Ich ärgere mich in der Erinnerung noch darüber, daß ich es mir nicht erlaubt habe, einfach wieder dabei einzuschlafen; ich bin passionierter Schnarcher. Danach durfte ich zur Erfrischung kurz in das Schwimmbexken, dann schnell zum Frühstück, schnell vereinleiben, danach begann das Patientenkommité. Alle Patienten hatten zu erscheinen, dann wurden Neue begrüßt, Vorfälle und Rückfälle der Patienten in den Raum gebracht, und Konfrontationen ausgesprochen. Dieses Kommité wurde von Patienten moderiert und geleitet, während ein Therapeut zur Seite stand. Bald formte sich ein Wunsch in mir: die Kommitéleitung auch einmal zu übernehmen! Genau in der Der Weihnachtswoche übernahm ich zdie Leitung und habe viel Anerkennung erhalten. Es sollte aber einen Nachteil mit sich bringen, es war eben der allerschwerste Patientendienst, den die Therapie vorsah, also für mich das Mindestmaß meiner Erwrtung. Der Entlassungsbericht bescherte mir dann die Aussage: "Stufenweise Wiedereingliederung, weil gute Arbeitsfähigkeit gegeben ist". Das Beste an der Klinik ist bekanntermßen die Umgebung und das Wandern in der Gruppe. Ich konnte ja eher nur immer die kleine Runde gehen. Als Wegzehrung durften wir einen Apfel mitnehmen. Auch diese Wanderungen waren Patientengeleitet, ohne Therapeuten. Samstag nach Weihnachten wollte ich schwänzen, weil ich alleine auf das Nebelhorn - mit der Seilbahn wollte. Die Mitpatienten riefen mich aber zur Ordnung, so ginfgen wir af das Söllereck. Ich habe dort das erste Mal in meinem Leben den Skifahrbetrieb auf einem Berg gesehen. Wintersport, wie ich ihn allenfalls aus dem Fernsehen kannte, nun en Natur. Die Einkehr in die Hütte war der Lohn des Weges, ein sagenhaftes Gruppengefühl. Ich konnte mir wieder eingestehen, das daß was ich nicht alleine kann, in der Gruppe möglich wird. Mein Altes Ego und meinen falschen Stolz habe ich in einem Ablassbrief die Breitach heruntergeschickt, völlig verrückt und losgelöst. Am nächsten Tag, Sonntag war nachmittags war Kaiserwetter. Eine Patientengruppe stand vor der Klinik und wollte auf das Nebelhorn. Da gab es kein Halten mehr. Ich kann es leider nicht beschreiben, wie es sich anfühlte, es ist zu tief in mir. Ich sitze an der Tastatur, und bin am Schlutzen, vielleicht schaue ich mir später noch die unendlich vielen Fotos an, aus 2224 m Höhe. Es war das Höchste in meinem Leben. In bedrängten Situationen darf ich mich immer wieder gerne an die Terrasse bei 10 Grad minus mit einem Becher heißen Kakao in der Hand erinnern.
Was ich mitgebracht hatte war, wie sehr ich bedürftig bin in Ruhe meinen Urlaub erleben zu dürfen. Eine Psychotherapie ist kein Urlaub, es ist Schwerstarbeit an einem , an mir selbst. Viele entlassene Patienten suchten sich nach der Therapie Hotelzimmer im Ort, kamen dann aber abends in die Klinik un an den dort angebotenen Selbsthilfegruppen teilzunehmen.
Als ich eben als Patient im Kommité war, stellte sich ein Patient vor, und brachte ein, daß er im Ort in eine Spielhalle geraten war. DieseM Mitpatienten gab ich eine Rückmeldung. Abends kam er auf mich zu, hatte einen Ordner in der Hand únd wir hatten dort eine Spieler-SHG aufgefrischt. So klein unsere Gruppe auch war, so intensiv war sie auch. Mir wird immer noch weich um das Herz.

Mein Psychiater , wieder Zuhause angekommen, schrieb mich Krank und Folgekrank. Ich bekam 78 Wochen Krankengeld, stellte meinen Rentenantrag auf EU-Rente. Dann kam der Rentenbescheid: Teilweise Erwerbsminderungsrente, weil ich ja laut Klinikbericht stufenweise wieder eingliederungsfähig wäre. Damit bin ich dann ab zum SoVD, der legte für mich Widerspruch ein, auf volle EU - Rente. Kurz bevor ich mich wieder zum JobCenter bequemen mußte, wurde dem Widerspruch stattgegeben. Nun war ich in der vollen Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Begründung war, daß ich auf dem freien Arbeitsmarkt chancenlos war, neulich habe ich den Bescheid aus meinem Archiv hervorgekramt. Noch Heute bin ich im Sozialverband. Auch wenn ich nur noch die Zeitschrift aufmerksam lese, aber ich hätte diesen Stress, mich von Arbeitsagentur zu Jobcenter und wieder zur Rentenkasse und Retour nicht alleine ausgehalten. Da ist mir sogar die Rentenzahlung verweigert worden, weil der Anteil des Arbeitslosengeldes zu hoch war, und ich sollte aufstockendes ALGII beantragen, wenn ich halb berentet bin, was für ein Verwaltungswahnsinn! Jetzt konnte ich das loslassen und dafür zur Wohngeldstelle des Sozialamtes schlendern.
Ich nahm wieder die vertrauten Werbeflyer in die Hand, nahm aber jetzt immer mein Fahrrad mit, weil mir das Gehen schwerer und schwerer fiel, zudem verschieb mir der Orthopäde einen Gehstock.

Fortsetzung folgt

andreasg:
Hallo liebe Mitleser,

habe eine Pause eingelegt, weil mein Herz schneller geschlagen hat, als es mein Verstand verarbeiten konnte. Auf Deutsch heißt das: Tachyarrythima absoluta bei poroxysmalem  Vorhofflimmern.
Die Elektrokardioversion und die Tabletten Umstellungen Blockieren mich noch ein wenig, aber ich hoffe ich bleibe stabil.

Damals 2008, hatte ich 7 Fachärzte, die sich für mein Befinden interessierten, es sind weniger geworden, weil die Menschen, auch Psychologen älter werden.
Das Älterwerden beschäftigte mich auch beim Heimgang meines Vaters 2012 und meiner Mutter, 2015. Diese UZeit war eine schwere Zeit für mich, aber auch eine sehr gute Zeit. Ich konnte von beiden Elternteilen persönlich Abschied nehmen. Natürlich habe ich den starren Eigensinn meiner Eltern bis zum letzten Atemzug erleben dürfen, aber es kehrte auch Frieden für mich ein.
Manchmal fehlt mir die Zeit, die ich für die Besuche zurücklegte, die schwere Hausarbeit bei meiner Mutter, oder die Attaken der alkoholkranken Zweitfrau meines Vaters gegen ihn, sie waren immer schwer erfüllt.
Um es mir wieder leicht zu machen, ging zog es mich  nach den Besuchen bei mener Mutter in die Hardcoreabteilungen der Videotheken und in die Sexshops, nach den Besuchen bei meinem Vater an den Leinpfad des nahen Mittellandkanals, der schon in meiner Kindheit ein außerordendlicher Anziehungspunkt für mich war und immer noch bis auf den heutigen Tag ist. Von meiner Mutter bekam ich Geld für mein Antihobby - Pornographie aus ihrem Pflegegeld Stufe O - = Haushaltshilfe. Erst als sie unter dramatischen Umstäden ins Pflegeheim mußte, vertraute ich auch diese, meine Sucht meinem Therapeuten an. Seit nunmehr 1 !/2 Jahren habe ich diese Geschäfte nicht mehr betreten. Im Netz schützt mich die Firewall!
Mit meinem Vater habe ich Frieden gefunden, ich entdecke immer mehr Erbgut von ihm an mir, was mir früher verschlossen blieb. Erst als ich erkennen konnte, daß er in tiefen Herzen ein, in seinen jungen Jahren mißbrauchter Pazifist war, wurde es mir möglich auch meine eigene friedliche Seite wieder zu entdecken. Danke Papi für die Arbeitsmappe "Bergen-Belsen" in deinem Atellier, und daß ich den Inhalt an das Kuratorium der Stiftung  weiterschenken durfte: 'we never forget it.
Bei meiner Mutter liegt das anders, sie ist mir noch immer gegenwärtig, schwirrt mir immer um den Kopf herrum und ich komme nicht an ein Gefühl von Trauér heran. Dank meiner Freunde in der Selbsthilfegruppe fasse ich wieder Mut und Kraft zum Loslassen. Sofern es die Novemberstimmung zuläßt werde ich eine jüngere Freundin von ihr anrufen, die gerne die Grabstelle sehen möchte um Abschied zu nehmen, dann nehme ich den Quarzitstein aus dem Harz mit, den ich ihr als Junge in meinem Rucksack nach Hause trug, in Erinnerung daran, daß ich  glückliche Tage hatte, auch wenn ich als Kind einiges er-tragen mußte. In der Psychosomatischen habe ich gehört, daß auch Steine glücklich werden können, ok, das war esotherisch.
Vielleicht schließt sich mein Rückblick auf die letzten 17 Jahre auf der Schloßmauer des Schlosses Waldeck. Von dort konnte ich den Ederstausee in seiner Dimension erahnen. Der verregnete Sommer 2012 gab ein paar Sonnenstralen frei. Ich blickte auf eine wunderschöne Landschaft in drei Dinensionen. Es war für mich just daoben auf den Zinnen ein Glücksgefühl in mir. Ich habe meine Krebserkrankung überleben können, und es ergab sich eine Neue Perspektive. Das Behütet sein, das Verstanden sein, das Erkennen des Erschreckens seiner Krankheit mit Liebe und Humor im Beisein von gleichfalls Betroffeen hat mich immer wieder bestärt und gekräftig.
Es ist gleichermaßen ein Geschenk der Liebe, nicht nur zu überleben, sondern bewußt leben zu lernen und dabei frei sein zu dürfen, es ist dieses Gefühl, das Staunens und des Africhtgen Dankes in neuer Demut und Gelassenheit.

Ich möchte Dir Dank sagen Ilona, für Deinen unermüdlichen Einsatz und Engagement für uns spielsüchtie Menschen, für Deine aufopfernde und potentielle Hilfestellung und Hoffnung, die Du mir gibst, die Botschaft der Genesung auch in einem digitalem Forum weitertragen zu können.
Danke für das Teilen
Andreas

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