Glücksspielsucht > Tagebuch
mein Weg: Kurve kriegen oder wirklich nach ganz unten
Peter Schmidt:
Da dein neuer Beitrag von heute zu sein scheint wünsche ich dir einfach mal alles gute. Ich verkaufe beruflich Alkohol. Lass trinken besser auch gleich sein =)
sorrynotsorry:
Hallo Suchtel,
wie geht es dir mittlerweile? Ich habe deinen Thread gerade komplett gelesen und erkenne mich in vielen Dingen selbst wieder. Der letzte Post war sehr unschön, ich hoffe wirklich sehr, dass es dir besser geht!
Viele Grüße
Suchtel:
Es ist eine Weile her, dass ich geschrieben habe. Theoretisch ist viel passiert, aber praktisch betrachtet irgendwie auch nichts...
Genau vor einem Jahr am 11.04.2019 habe ich meine etwa 4 monatige stationäre Therapie in Wilhelmsheim beendet gehabt und ich war damals wirklich guter Dinge und guter Hoffnung, dass mein Leben eine gute Wendung nimmt und ich Glück und Zufriedenheit im Leben finden und erleben kann. Doch nach 2,3 Monaten trat Ernüchterung im Alltag ein und einen sich anbahnenden Rückfall konnte ich zwar durch das ein oder andere Erlernte noch etwas rauszögern, aber letztendlich nicht aufhalten. Und im Prinzip dauert der leider bis heute an.
Vereinzelte Spielpausen wegen Geldmangel und/oder anderer Ablenkung, vereinzelt der Versuch und die Hoffnung es zum neuen Monat mit dem neuen Gehalt besser zu machen - aber alles immer nur von kurzer Dauer. Am Ende dann doch wieder 2,3 Tage Spielrausch und dann den Rest des Monats nichts außer Arbeit bis es wieder von vorne losgeht.
Natürlich bin ich nicht wirklich glücklich damit, aber ich schaffe es nicht selber auszubrechen und blocke äußere Einflüsse lieber wieder ab. Irgendwie arbeite ich im Prinzip quasi aber auf einen Zusammenbruch meines finanziellen Kartenhauses hin und dann muss und wird etwas passieren. Ich wohne nur in einem kleinen Appartment zur Miete und habe immerhin zum Glück keine eigene Familie oder sonstige "Verpflichtungen",die ich damit in Mitleidenschaft ziehen würde.
Ein Vorteil meiner minimalistischen Lebensweise ist, dass ich außer meiner körperlichen Gesundheit nicht viel zu verlieren habe. Gerade in diesen Zeiten merke ich, wie sich viele Menschen sich Sorgen um allesmögliche machen müssen und abhängig von Dingen sind. Vor kurzem kam ich von der Arbeit und vor meinem Wohnblock war ein Großaufgebot von Feuerwehr und Polizei, weil es weiter oben in einer Wohnung wohl einen kleinen Brand gab. Meine größte Sorge in meiner Wohnung war abgesehen von meinem Dach über dem Kopf und Kleidung sonst nur der Ersatzschlüssel zur Wohnung meines besten Freundes. Und diese Sachen sind theoretisch mit Geld leicht ersetzbar/mietbar/nachmachbar, sonst könnte eigentlich alles verbrennen. Aber letztendlich hatte es mich und meine Wohnung überhaupt nicht betroffen.
Naja und einzelne schöne positive Gefühle und Momente habe ich schon erlebt. Und auch wenn es mir schwer fällt, nehme ich mir immer wieder mal Zeit (die habe ich eigentlich zu Genüge) und vor allem den Mut mich selber zu reflektieren und mir Gedanken über meine Situation und mein Leben zu machen. Ich hatte ein paar Tage mit Stunden, da habe ich es tatsächlich irgendwie geschafft eine gewisse Art von Gelassenheit und Freiheit zu empfinden. Und zwar nicht so eine Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber, wie ich es sonst oft habe. Sondern eher richtige Entspanntheit, das Gefühl im Prinzip alles tun zu können oder auch sein zu lassen - so wie ich es will.
Außer meiner Gesundheit kann mir eigentlich nichts genommen werden, und falls mich doch oder auch enge Familienangehörige, Freunde etc. eine Krankheit, der Tod o.Ä. ereilt, dann ist es eben so - das gehört zum Leben dazu wie das Leben selbst.
Aber die meiste Zeit holt mich dann doch eher das reale Leben mit all seinen Schikanen und schrecklichen Dingen, die so passieren, ein, und belastet mich. Diese übertriebene Ungerechtigkeit auf der ganzen Welt. Ganz abgesehen von den aktuellen Umständen, sterben täglich abertausende von Menschen und natürlich auch Tieren. Und das oft nicht auf vermeintlich/relativ "natürliche" Weise durch eine Krankheit o.Ä sondern durch gnadenlose Ausbeutung ganzer Länder, Völker, Tierarten etc., meistens angetrieben und aufrechterhalten aus reiner Gier nach Geld und Macht. Würde ich mir darüber täglich den Kopf zerbrechen, würde ich womöglich endgültig verrückt werden oder zum Misanthrop, vielleicht bin ich auch schon einer.
Ich bin ja selber kein Veganer und kaufe aus finanziellen Gründen (weil ich mein Geld "lieber" verzocke...) Billig-Produkte, die vermutlich einige sehr fragwürdige und menschen-/tierunwürdige Prozesse durchlaufen, bis sie bei mir landen. Im Kern ist das auch eine Priorisierung, die ich selber verachten würde/tue aber offensichtlich in Kauf nehme.
Das ist das Werk der kranken Menschheit im großen Kontext und live mit meinen eigenen Augen in meinem eigenen Lebensausschnitt erlebe ich auch auf "kleinerer Stufe" die ekligsten und reudigsten Handlungen von Menschen - von Verrat und Verleumdung über Betrügereien bis hin zu z.B. sexueller Belästigung oder Gewalt.
Ein Kollege kam in mein Leben und wurde zu einem meiner engsten Freunde und Vertrauten (phasenweise vielleicht Nummer 1), ehe ich erfahren musste, dass er in dieser Zeit etwas wirklich Schlimmes getan und mich darüber erstmal Wochen lang belogen hat (für mich fast noch schlimmer, als die Sache selbst). Ich hatte mehr oder weniger für ihn gebürgt und die Wahrscheinlich mit 99% eingeschätzt, dass er die Wahrheit sagt - so sicher wie ich mir eben nur sein konnte ohne es selbst gesehen zu haben. Ich hätte es wohl bis ans Lebensende geglaubt, hätte er nicht doch selbst noch gestanden und die Wahrheit gesagt. Mittlerweile ist er nicht nicht mehr Teil von meinem Leben.
Und mein Vertrauen in die Menschen bzw. Menschheit allgemein ist weiter gesunken, außer Mama, vielleicht weitere Teile der Familie, und meinem besten Freund, den ich seit der 1. Klasse kenne, traue ich eigentlich niemanden mehr oder glaube an ehrliche Absichten. Bzw. wenn jemand etwas erzählt, nehme ich es grundsätzlich schon erstmal hin. Aber richtig aktiv glauben tue ich nur noch, was ich wirklich selber sehe. Am Ende wollen/wollten nahezu alle Menschen, die ich kennenlern(t)e, doch nur eigene Vorteile.
Phasenweise widert mich die Welt wirklich an, aber ich versuche eher auf die schönen Dinge zu achten. Und allgemein eher auf mich selbst zu schauen und selber eben nach meinen eigenen Werten und Vorstellungen zu handeln und leben - so gut es eben geht... Ich bin als Spieler ja selber oft am Lügen oder Verschweigen, das Ausmaß meines aktuellen "Rückfalls" kennt aktuell nur ein Freund aus der Zeit bei der stat. Therapie. Die Familie weiß, dass es mir wohl nicht besonders toll geht, aber aktiv Erzählen von meiner Zockerei und wie ich mich im Prinzip momentan der Sucht er/hingebe tue ich nicht.
Ich wünsche keinem Menschen etwas Schlechtes, sondern allen Glück und Zufriedenheit und was sie dafür eben brauchen (solange es keinem anderen schadet...) Aber insgeheim hoffe ich schon, dass die momentane Krise (was auch immer da alles dahinter bzw. mit darin steckt und worauf es sich wie auswirken wird etc.) diese Welt zumindest auf längere Sicht im Positiven (wer definiert das schon, aber ich meine eben irgendwie gerechter, fairer und lebenswerter für alle) verändern wird und dafür muss vielleicht dieses ganzes "System" der aktuellen Welt erstmal etwas ins Wanken geraten oder gar ganz fallen mit anschließendem kompletten Reset.
Letztendlich habe ich da keinen großen Einfluss drauf; ich werde zum nächsten Monat (dieser ist finanziell sowieso schon gelaufen) wieder einen neuen Versuch starten mein Geld, meine Zeit, meine Energie u.v.m wieder sinnvoll zu nutzen, aber richtig überzeugt davon bin ich ehrlich gesagt selber jetzt schon nicht. Und wahrscheinlich werde ich mir dann früher oder später doch wieder diese 2,3 Tage, oder wenn es nur ein paar Stunden sind, Ablenkung und "Entspannung" vom Leben und der Welt "erkaufen".
Aber auch wenn die letzten Monate und womöglich auch die kommenden nicht so laufen werden, wie ich mir das selber vorstellen und "eigentlich" ja auch wünschen würde (nur warum mache ich es dann nicht oder treffe mehr oder andere Vorkehrungen etc.), eine wichtige Erkenntnis habe ich die letzte Zeit gewonnen bzw. wiedergefunden (auch wenn ich sie phasenweise wieder verliere):
Alles Empfundene - Glück, Pech, Zufriedenheit, Trauer, Freude, Enttäuschung, Stolz, Scham und all die anderen Gefühle - entstehen letzten Endes immer nur in mir selbst. Sie werden zwar schon ausgelöst durch Einflüsse von außen, die ich auf irgendeine Art und Weise erst einmal aufnehme. Aber entscheidend ist dann eigentlich, wie ich das alles in mir wahrnehme, wie ich es evtl. werte (oft auch erstmal unterbewusst durch festgefahrene Denkmuster etc.), wie ich damit umgehe und was ich im Endeffekt dann fühle. Und ich will lernen, dass das, was bleibt, am Ende viel häufiger eine positive Gelassenheit ist und ein Gefühl von im Reinen sein - einerseits mit mir selbst, aber auch mit der Umgebung, wie auch immer sie sein mag.
Mal gucken, wie ich das hinbekomme, und wie mein Leben und die Welt sich so die nächste Zeit entwickelt... Und ob ich vielleicht wieder häufiger Lust finde (oder was für ein Grund es auch immer sein mag) hier zu schreiben.
Suchtel:
Und wieder sind einige Monate vergangen. Vieles ist beim Alten, aber doch ist gefühlt das erste Mal seit Jahren in meinem Leben mal etwas wirklich "Bedeutendes" von womöglich andauernder Veränderung passiert. Im Laufe des Aprils habe ich eine Frau in mein Leben gelassen und es läuft den Umständen entsprechend gut.
Ich hatte immer Angst davor, irgendwie für irgendwen oder irgendetwas wichtig zu werden und "Verantwortung" zu übernehmen. Weil ich genau weiß, dass mich diese Sucht früher oder später irgendwann doch endgültig zerstören könnte und ich damit keinem weiteren außer denen, die eh schon Kontakt zu mir haben (Familie, Freunde etc.), wehtun möchte.
Aber es ging mir nicht gut und ich dachte irgendwas muss ich verändern, warum dann nicht mal etwas die Blockadehaltung lockern, schlimmer kann es für mich kaum werden (auch wenn das etwas egoistisch ist..). Ich habe es in Gesprächen mit Therapeuten und anderen Süchtigen oft gehört und erfahren, dass eine Beziehung eine Art Hilfe sein kann, aber am Ende der Kampf gegen die Sucht so oder so selber geführt werden muss. Und falls es hilft, besteht die Gefahr, dass bei einem möglichen Ende der stützenden Beziehung alles wieder zusammenbricht und womöglich sogar noch schlimmer wird als davor.
Trotzdem bin ich das Risiko eingegangen, aber habe von vornherein mit sehr offenen Karten gespielt. Und trotzdem hat es sich so gut entwickelt, sie hat - wie wohl jeder Mensch - selber auch ihre Probleme und Baustellen; und wir wollen einander unterstützen.
Allerdings lief meine Sucht die letzten Monate trotzdem weiter, immerhin ohne, dass ich sie anlüge; bei ihr das gleiche. CO-Abhängigkeit etc. kenne ich ja in der Theorie alles, aber wir wollten uns auch nicht gegenseitig unter Druck setzen oder eine Beziehung direkt an Erwartungen o.Ä koppeln. Sie holt sich demnächst wieder etwas professionelle Unterstützung, ich sehe bei mir momentan nicht den großen Nutzen, wenn ich wieder eine Therapie o.Ä starten würde. AmEehesten kommt wieder ein Besuch einer SHG in Frage, die positiven Effekte hielten sich bei mir in der Vergangenheit aber leider dort auch sehr in Grenzen.
Weil ich aber mal wieder kurz vorm finanziellen Zusammenbruch stehe (dass mich früher oder später womöglich eine Privatinsolvenz ereilen könnte, habe ich gleich zu Beginn offen gelegt), werde ich meine Finanzen mal wieder abgeben und hoffe mich so für ein paar Monate stabilisieren zu können. Da es mit "Kontrolle" durch enge Familienangehörige zuletzt bisher nie gut ging, werde ich es noch im Laufe des Monats an meine Freundin abgeben. Wir sind zwar gerade mal 3 Monate zusammen, aber ich vertraue ihr 100% und habe ja eh nichts zu verlieren. Außerdem sind wir halt ganz nah und sehen uns viel öfter als dass ich die anderen Verwandte sehe und so funktioniert Taschengeld und sowas wesentlich einfacher.
Aber de entscheidende Frage ist eigentlich, warum ich weiterhin meine Sucht brauche und bedienen musste. Die letzten 2 Gehälter war ich schon wieder am Geld hinterherrennen, aber Anfang Mai und Juni war finanziell alles stabil und es ging mir vermeintlich gut und ich war vermeintlich glücklich...
Die Beziehung hat sich aber auf jeden Fall bisher auch sonst positiv ausgewirkt, ich bin etwas selbstbewusster geworden und anstatt alleine vor mich hinzukrebsen und auf das finanzielle und eigentlich auch gesamte Ende zu warten, verbringe ich mitunter viel schöne Zeit in Zweisamkeit und habe auch sonst trotz Corona wieder etwas mehr Action draußen in der Welt und "lebe" wieder wirklich.
Mal gucken, ob die rückständigen Kreditraten etc. schon zu viel sind, oder die Gläubiger nochmal geduldig sind und ich in den nächsten 2,3 Monaten mit Kontrolle meiner Freundin gerade nochmal die Kurve bekomme. Geld leihen von ihr oder sie sonstwie mitreinziehen will ich auf keinen Fall.
Wolke:
Hallo Suchtel,
was hälst du von einer von Therapeuten betreuten SHG? Die Caritas macht sowas. Diese SHG hat mir sehr gut getan und mich weitergebracht. Die Caritas hilft auch bei der Schuldenberatung und eventuell bei einer Therapie,falls du doch nochmal eine machen möchtest,egal ob stationär oder ambulant.
Das du eine Frau in dein Leben gelassen und dich ihr anvertraut hast,find ich sehr gut.
Auch das sie dein Geldmanagement übernimmt,bis du dich etwas stabilisiert hast. Das waren die richtigen Anfangsschritte. Vielleicht täten dir noch weitere Schritte gut,du überlegst ja schon selber mit einer SHG......
Du gehst in die richtige Richtung.
LG Wolke
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