Glücksspielsucht > Tagebuch

Entschluss ist gefasst.

(1/17) > >>

Balduin:
Ich habe begonnen im Forum zu schreiben, nachdem ich längere Zeit stiller Mitleser war und es hat mir geholfen einen Anfang zu finden. Ich will jede Art von Glückspiel unterlassen. Zweifel bleiben, aber wie hier Jemand schrieb: Was hab ich zu verlieren, Versuch macht klug.

Ich denke, das ist seit 40 Jahren mein erster ernsthafter Versuch, Kontrolle über einen Teil meines Lebens zurückzugewinnen. Ich habe weder eine Selbsthilfegruppe, noch einen Therapeuten und das minimiert wahrscheinlich meine Chancen. Dennoch ist die Bereitschaft nicht da und ich hoffe ich finde die Kraft zu schreiben, wenn ich rückfällig werde, um dann den nächsten Schritt zu weitergehender Hilfe zu finden.

Ich beschäftige mich nach wie vor über den Tag verteilt immer wieder mit dem Spielen und meiner Sucht. Spielfrei bin ich erst ca. 10 Tage. Geld für den Rest des Monats und auch Reserve auf dem Sparbuch habe ich. Das verfügbare Geld auf dem Konto reicht bis zum Ende des Monats knapp. Spätestens Ende des Monats kommt die nächste Bewährungsprobe, wenn mein Lohn kommt. Habe in den letzten Jahren immer in den ersten zwei bis sieben Tagen nach Lohneingang regelmäßig fast 40 % meines Einkommens verspielt, 50,00 € eingesteckt und noch dreimal zum nächsten Geldautomaten gedackelt, um Nachschub zu holen.

Gott sei Dank bin ich nie Online gegangen und ich hätte wahrscheinlich Haus und Hof verspielt in den euphorischen Phasen.


taro:
Moin Balduin,

Glückwunsch zu deinem Entschluss und den 10 spielfreien Tagen. Dein Dank an Gott in allen Ehren,  jedoch wissen wir nie was geschehen wäre. Wir sind nun mal die vor Online Casino Generation.  Also bin ich von der Spielhalle direkt ins Casino. Die höheren Summen  haben mich ziemlich schnell an die Grenze gebracht. Im Program der GA steht, viele unter uns hätte die Sucht an die Schwelle von Gefängnis Wahnsinn und Tod gebracht. Ich habe gleich von allen dreien ein wenig schlecken können. Den Wahnsinn habe ich kurzfristig in meinen 4 Wänden erlebt. Das Gefängnis war für mich als überwältigter und entwaffnetet Serientäter unausweichlich, trotzdem bin ich dort unerkannt weg gekommen. Warum weiß ich bis heute nicht, für mich bis heute nach Jahrzehnten noch immer ein Wunder. Ein mehrjährige Haftstrafe bin ich so entgangen, mein heutiges Leben so überhaupt nicht möglich.
Da ich das spielen nicht lassen könnte und ich in höchster Not ein Versprechen vor Gott abgegeben habe keine anderen Menschen mehr Schaden zuzufügen blieb nur noch der Selbstmord.
Bevor ich den durchführte bin ich zu einem Meeting der Anonymen Spieler gegangen von denen ich schon gehört hatte. Der Raum war proppe voll, bestimmt 30 Leute. Sie saßen sogar auf den Heizkörpern.
Als ich dort raus ging hatte ich im Kopf einen ganzen Kein leichter vor lauter Lichter die mir aufgegangen sind. Und ich erlebte mein zweites Wunder, ich hatte HOFFNUNG das auch ich ein spielfreies Leben führen kann.
In der Folge bekam ich ein komplett neues Leben, neue Freunde, Familie mit drei Kindern, nachholen meines Fachabis und studiert. Und dazwischen ganz viel gelebtes Leben.

Jetzt habe ich viele Worte gemacht, obwohl es Knopf auf Spitz bei mir stand, bin ich Gott von Herzen dankbar das ich zum Casino rasch meinem Ende entgegen gegangen bin und nicht 30 Jahre mit Spielhallen weitergemacht habe.

Als ich in mein erstes Meeting ging war ich 24 heute bin ich 52.

Ich wünsche Dir ab heute auch ganz viel Leben das Du noch entdecken darfst.

Taro

Balduin:
Hallo Taro,

danke für deine Geschichte und dass du dir die Mühe machst, sie für mich zu schreiben. Wahrscheinlich haben viele von Euch Engagierten Eure Spielergeschichte schon mehrfach in anderen Chats geschrieben und ich könnte mehr Geschichten lesen, wenn ich auch die anderen Chats lesen würde, ich gucke, wie ich die Zeit finde.
Mir laufen Schauer den Rücken herunter, wenn ich es lese.

So verzweifelt war ich nie. Ich habe mich vor den tiefsten Abgründen bewahrt, war nie völlig am Boden und habe wahrscheinlich auch deshalb nie ernsthaft den Absprung versucht.
Ja sicher, wir sind die Generation Automatenzocker, unsere Eltern die Generation Lotto. Ich denke, es ist auch müßig, darüber nachzudenken, ob es besser gewesen wäre, wenn ich heftiger ins Unglück gestürzt wäre und mehr spielfreie Zeit gewonnen hätte.
Deine Geschichte kann Jüngeren und Älteren die Gewissheit geben, dass man es schaffen und viel gewinnen kann.
Ich kenne Jemanden, der mit 84 das Rauchen aufgegeben hat. Der Husten war einige Zeit später verschwunden.
 
Ich kann noch 15 Jahre arbeiten und mir etwas aufbauen.

Olli:
Hi!


--- Zitat ---Ich kann noch 15 Jahre arbeiten und mir etwas aufbauen.
--- Ende Zitat ---

Ich sinniere mal ein wenig ...

Geld, Knete, Penunzen, Taler, Mäuse ... Mein Haus, mein Auto, mein Motorboot ...  :)

Muss sich das Leben ständig darum drehen? Etwas "aufbauen" im Sinne materieller Güter?

Ich kenne viele, die trotz junger Jahre sagen: Ich baue mir kein Haus.
Sie sehen ihre Lebensqualität eingeschränkt - auf Jahrzehnte - bis die Kredite abgezahlt sind.

Ich kann das nachvollziehen. Sehe nicht nur die monatliche Miete im Geldbeutel des Vermieters versinken.

Ja ... ich habe mich für einen Hausbau entschieden. 10 Jahre habe ich schon abgezahlt ... 8 muss ich noch.
Auch bei mir in der Ursprungsfamilie musste man im Leben etwas "schaffen".
Da spreche ich mich auch nicht von frei, dass ein Großteil meiner Motivation daher stammt.

Doch die Sichtweise ändert sich, wenn das Haus erst einmal gebaut und man selbst eingezogen ist.
Auf einmal rückt der rationale Grund: Ich sorge für meine Rente vor - dann werde ich "mietfrei" leben. - ein wenig mehr in den Vordergrund.

Viel wichtiger aber - ich schöpfe auch Motivation für meine Abstinenz aus dem Haus - spare, um das Geld in es zu investieren.
Ich laufe nämlich tagtäglich an den Sachen vorbei, die ich selbst verlegt, verklebt, gehämmert, gesägt, geschraubt, gebohrt, gefräst und was ich nicht noch alles gedingst habe.
Wenn ich wieder spielen sollte, wäre es dann nicht so, als würde ich jedes Einzelteil des Hauses mit Gewalt wieder demontieren?

Habe ich das nicht früher mit meinem Leben gemacht, als ich noch spielte?

Nun denn ...


--- Zitat ---Ich denke, das ist seit 40 Jahren mein erster ernsthafter Versuch, Kontrolle über einen Teil meines Lebens zurückzugewinnen. Ich habe weder eine Selbsthilfegruppe, noch einen Therapeuten und das minimiert wahrscheinlich meine Chancen. Dennoch ist die Bereitschaft nicht da und ich hoffe ich finde die Kraft zu schreiben, wenn ich rückfällig werde, um dann den nächsten Schritt zu weitergehender Hilfe zu finden.
--- Ende Zitat ---

Es ist egal wie Du es ausdrückst ... keine Kraft, zu viel Angst ... ich verstehe das.

Wir haben ein Leben lang versucht immer alles aus eigener Kraft zu bewältigen.
Für uns hat Vieles nicht funktioniert - aber aus den Dingen, die funktioniert haben, haben wir unsere Bestätigung gezogen.

Es gibt die so genannten "5 Säulen der identität" als These von Ichweissnichtmehr wem.
Da gibt es die Körperlichkeit, die soziale Komponente, die Arbeit und Leistung, die Werte und die materielle Sicherheit.
Stellen wir uns nun vor, diese Säulen seien aufgestellte mit Flüssigkeit gefüllte Röhrchen.
Auf gleicher Höhe an allen Röhrchen befindet sich ein Eichstrich.

Nun können wir uns sehr gut vorstellen, dass dieser Eichstich für Ausgewogenheit steht.

Die Flüssigkeiten spiegeln den Zustand unserer Säulen der Identität wieder.
Das Optimum also wäre, dass alle Röhrcheninhalte über den Eichstrich gehen.

Ich glaube ja, dass gerade bei uns Spielern die Füllstände eher niedrig sind.

Nehmen wir also an, dass wir in der "Arbeit und Leistung" gut aufgestellt sind, hier wie eben beschrieben, unsere Bestätigung erhalten.
Nehmen wir weiterhin an, dass nur als Beispiel die "Körperlichkeit" nicht so gut ausgeprägt ist.

Können wir diese "Baustelle" mit "Arbeit und Leistung" kompensieren?

Ich sage nein, denn es ist ein ganz anderes Thema.
Es nutzt uns nichts, wenn wir unser Fahrrad aufpumpen, wenn wir am Auto einen Platten haben.

Wenn wir das aber nicht wissen - nie gelernt haben - keine Anregungen von außen suchen ... wie wollen wir je wieder vernünftig mit dem Auto fahren, ohne es zu beschädigen?
Wie wollen wir über Leistung die zu krumme Nase akzeptieren lernen? Die Akne- oder OP-narben? Die zu langen Füße, zu kurzer Schniedel oder was weiss ich?

Das geht nur, indem wir daüber sprechen.

Ja natürlich geht Vieles in die sehr intime Region. Gerade da haben wir gelernt es mit "uns selbst" auszumachen.
Schließlich schadet es ja niemanden anderen - es ist ihnen vielleicht noch nicht mal bewusst, wie wir darüber denken.

Ja wie sollten sie auch, wenn wir schweigen?
Und natürlich schadet es jemanden - uns! Wir leiden darunter - ob es uns bewusst ist oder nicht.

Deshalb, Balduin, verkrieche Dich nicht, wie Du es bisher immer getan hast - handle anderes - offener - die Konfrontation mit dem eigenen Ego suchend.

Das einzig und alleine nur, damit Du Dir etwas schaffst und aufbaust ... Deinen Selbstwert!

Denke bitte noch mal über Deine Entscheidung nach!


Noch kurz zum letzten Satz des Zitates:
Das ist sicherlich etwas, mit dem Du Dir bisher immer etwas vor gemacht hast.
"Wenn, dann ..."
Das ist nichts Anderes als Spielen.
Was spricht gegen ein  bedingungsloses "Jetzt"?

Balduin:

--- Zitat von: Olli am 16 Oktober 2018, 14:39:29 ---
Was spricht gegen ein  bedingungsloses "Jetzt"?

--- Ende Zitat ---

In erster Linie das fehlende Eingeständnis, dass ich es alleine nicht schaffen kann.

Aber nach der Anonymen Gruppe muss ich es auch meinen Freunden und Bekannten offenbaren. Da bricht ein Bild von einer starken Persönlichkeit zusammen. Das müsste ich erst einmal verkraften und wenn ich rückfällig werde, wissen alle, dass ich es nicht geschafft habe.
Verkrochen habe ich mich nie (nur aufgepasst, dass mich Niemand beim Zocken sieht)
Von einigen Chats (auch hier) bin ich abgeschreckt, da sind feuchte Spieler ohne Einsicht unterwegs und ich vermute die auch in Gruppen.

Hier ist alles super anonym und ich muss Niemandem in die Augen gucken. Ohne dieses Angebot hätte ich nie den ersten Schritt gemacht.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln