Unterstützen Sie unsere Arbeit Jetzt spenden!
Hallo Gast
Online-Selbsthilfegruppen Glücksspielsucht
» Mittwochsgruppe    |    » Samstagsgruppe
     

Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse

  • 220 Antworten
  • 43266 Aufrufe
*

Offline Wolke 7

  • *****
  • 1.069
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #150 am: 10 Juli 2022, 20:58:53 »
Zitat
Wieso, was verniedliche ich denn?

Sagen wir es mal so......dir macht das Traden einerseits Spaß, du merkst aber auch ,dass du schon ein Suchtverhalten an den Tag legst. Deine Detox Woche tat dir gut,du beschreibst sie sehr positiv.  Aber ganz drauf zu verzichten möchtest du aus Geldgründen nicht,weil es Spaß macht,weil es Arbeit ist,ganz abstinent zu werden. Deswegen erklärst du dich hier und hoffst,daß andere deinen Weg auch gut finden,denn das würde dein Gewissen beruhigen. 
Niemand ausser dir selbst,muss damit klar kommen. Wenn du damit klar kommst ,dass dein Weg ist und du nicht das Gefühl hast dich selbst zu belügen ,ist doch alles super.

Mein Weg der Genesung  geht nur ,wenn ich gar nicht mehr spiele. 

LG Wolke

*

Offline Olli

  • *****
  • 6.759
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #151 am: 10 Juli 2022, 21:52:45 »
Guten Abend!

Zu Deinem Punkt 1 fällt mir sofort die Interpretation aus "12 Schritte - aber wie" der AS ein ...

Zitat
Schritt 1:

"AUFHÖREN ZU KÄMPFEN, ZUGEBEN, DASS WIR DEM SPIELEN GEGENÜBER MACHTLOS SIND"

Im ersten Teil von Schritt l kommt der Spielabhängige zum alles entscheidenden Punkt, wenn er bereit wird, zuzugeben, dass er dem Spielen gegenüber machtlos, d.h. vom Spielen abhängig ist. Dieser Schritt sieht so einfach aus, Ist aber doch für die meisten Spielsüchtigen so ungeheuer schwer, weil soviel daran hängt:
Dieser Schritt ist so schwer, weil der Abhängige die Illusion für sich braucht, das Spielen zu beherrschen, um mit ihm weitermachen zu können. Ohne die Aussieht des Spielens scheint ihm das Leben keinen Sinn zu haben. Deshalb hält er, trotz aller gegenteiligen Erfahrungen an der Vorstellung fest, dass er das Spiel meistern kann, auch wenn es immer nur für "ein Spiel" ist, er in die Kneipe, die Spielstätte, Spielothek oder in das Casino geht, um sich dann nach Stunden oder Tagen in einem fürchterlichen Zustand wieder zu finden.
Er glaubt jedes Mal, dass dies nur ein momentaner Unfall gewesen ist und dass es das nächste Mal anders sein wird, bzw. dass seine Stabilität kurz vor der Tür steht.
Solange er diese Hoffnung noch hat, kann er das Spiel weiter gebrauchen, mit ihm experimentieren, mit ihm kämpfen. In diesem aussichtslosen Kampf gleicht ein Spieler einem Laienboxer, der gegen Cassius Clay in den Ring steigt. Nach wenigen Augenblicken ist er von den Füßen und liegt ohnmächtig im Ring, aber jedes Mal steht er wieder auf, um weiterzumachen, weil er sich weigert, das Handtuch zu werfen und zu kapitulieren.
Dieses Kapitulieren ist so schwer, weil es als Eingeständnis des eigenen Versagens erlebt wird. Unterstützt wird dieses Missverständnis durch die Vorwürfe und Ermahnungen, die der Spielabhängige von sich selbst und auch aus seiner Umgebung erfährt, dass sein Verhalten Ausdruck von Willensschwäche und Charaktermangel sei. Hat er nicht immer wieder versprochen, sich zu bessern und seine Versprechungen nicht eingehalten?  Aber Machtlosigkeit dem Spielen gegenüber ist keine Willensschwäche und kein Charaktermangel (denn Abhängige sind oft sehr willensstarke Menschen). Zugeben der Machtlosigkeit ist der Ausdruck der Erfahrung, dass da etwas stärker ist als ich, das ich nicht kontrollieren kann.
Das Zugeben der Machtlosigkeit ist so schwer, weil manche Machtlosigkeit als Ohnmacht und Hilflosigkeit verstehen, missverstehen - wie wir meinen. Sie erleben Schritt 1 damit als Zumutung, sich als klein und hilflos darzustellen.
Zugeben der Machtlosigkeit ist aber genau das Gegenteil. Es bedeutet, dass ich aufhöre zu jammern und zu klagen und mich für das Opfer der Umstände, einer Erziehung oder sonstiger Widrigkeiten zu halten. Zugeben der Machtlosigkeit ist eine mutige Tat, dass ich mich meiner Realität stelle und sie nicht mehr beschönige.
Zugeben der Machtlosigkeit ist so schwer, well dieses unseren Stolz trifft, die Einbildung, unser Leben völlig zu kontrollieren und in der Hand zu haben.
Das trifft die Größtphantasien des Spielsüchtigen, der glaubt, es alleine schaffen zu können und keine Hilfe von anderen zu gebrauchen. Dieser Schritt fällt so schwer, weil wir nicht wissen, wie es dann weitergehen soll. Das kämpfen gab uns wenigsten noch die Illusion, dass wir noch mitbestimmen, noch kontrollieren können. Wenn wir kapitulieren, geben wir uns auf. Was bleibt uns dann?
Dieser Schritt ist so schwer, weil er uns erinnert an die Erfahrungen in Grenzsituationen unseres Lebens, wie zum Beispiel bei Geburt und Tod, und auch beim Orgasmus in der sexuellen Vereinigung mit einem anderen Menschen.
In diesen Situationen haben wir nicht die Kontrolle des Geschehens in unserer Hand, sondern wir erleben, dass hier etwas stärker ist als wir selbst, dass hier etwas mit uns geschieht. Und davor haben wir alle Angst, der Abhängige offenbar in besonderer Weise (siehe Schritt 3). Um diese Angst zu vermelden, kämpft er gegen die Realität, bringt sich selbst in äußerste Gefahr und verbindet zugleich, dass Wachstum In Ihm geschieht.
Zugeben der Machtlosigkeit ist deshalb nicht nur angstvoller Abschied von Altem und Vertrautem, mit dessen Hilfe wir bisher unser Leben zu meistern versuchten, sondern auch der Anfang von etwas Neuem, durchaus einer Geburt vergleichbar.
Aufhören zu kämpfen schafft Raum für neues Leben, das ich bisher gerade durch mein Bemühen, nicht aufzugeben, verhindert habe. Das Zugeben der Machtlosigkeit ist deshalb eine ungeheure Befreiung die Erfahrung einer neuen Erlaubnis zum Leben:
- Ich brauche nicht mehr zu kämpfen!
- ich brauche nicht mehr mich selbst zu zerstören, indem ich beweise, dass ich es doch schaffe!
- Ich darf leben, stabil leben!
 Viele, die den ersten Schritt vollzogen haben, berichten, dass nach dem Auf und Ab von Angst, Trauer und Zweifeln ein starkes Gefühl der Freude, der Erleichterung und der Ruhe in ihnen Platzt ergriffen habe.

Nehme Dir einen Augenblick Zeit und frage Dich:
- Wo habe ich in meinem Leben Machtlosigkeit
dem Spielen gegenüber und auch sonst erfahren?
- Wie habe ich mich gegen das Zugeben der Machtlosigkeit gewehrt?
- Welche Ängste, welche Trauer und welchen
Ärger spüre ich, wenn ich zugebe, dass ich machtlos bin ?

"... UND UNSER LEBEN NICHT MEHR MEISTERN KONNTEN"

Der zweite Teil von Schritt 1 weist darauf hin, dass Spielsucht/Spielabhängigkeit keine isolierte Sache ist, sondern immer etwas mit unserem ganzen Leben zu tun hat.
Nicht wenige Abhängige sagen am Anfang Ihrer Stabilität: "Sonst ist alles in Ordnung bei mir...... wenn nur das Spielen nicht wäre." - Sie wehren sich damit ihr Leben näher anzusehen und halten die Meinung aufrecht, es genüge, nur nicht mehr zu spielen.
Aber das hilft erfahrungsgemäß nicht weiter, wenn wir nur etwas weglassen, von dem wir uns sehr lange viel versprochen hatten. Die zwölf Schritte zielen auf eine Neuordnung unseres Lebens hin, und darum ist es wichtig zu wissen, wie unser gesamtes Leben mit dem Spielproblem verflochten ist.

Frage Dich deshalb?
- Was sind meine Probleme im Beruf?
- Wie komme ich mit mir selbst zurecht?
- Bitte darüber hinaus Deine Angehörigen, Deine Freunde und Kollegen am Arbeitsplatz um Rückmeldungen, was sie mit Dir erlebt haben und wie sie sich dabei fühlten.
- Wenn Du in einem Kuraufenthalt oder in einer Therapie bist, lasse Dir von den Betroffenen Briefe schreiben, bzw. gehe gemeinsam mit Deinen Angehörigen in ein Familien- oder Partnerseminar, wo diese Fragen bearbeitet werden können. Wenn Du bereit bist, diese Untersuchungen vorbehaltlos zu machen, wirst Du wahrnehmen, dass uns das Spielen unfähiger machte, mit unseren Problemen umzugehen.
- Vielleicht hatten wir uns mal versprochen, bestimmte Probleme durch das Spielen zu lösen (wie z.B. mehr als 10 Stunden zu arbeiten, besser zu schlafen, ruhiger zu argumentieren, gefälliger zu sein, uns von den Sorgen und Problemen des Alltags abzulenken); aber letzten Endes hat das Spielen doch nicht das gehalten, was es versprochen (was wir uns davon versprochen haben), denn die Probleme die wir hatten, sind am Ende größer geworden, anstatt kleiner.

Das ist die eine Seite der Bedeutung dieses Satzes, die besagt: Dann, wenn das Spiel in unser Leben kommt, können wir unser Leben nicht mehr meistern.
Schon lange bevor das Spiel sichtbar in unser Leben getreten ist, haben wir unser Leben nicht mehr meistern können. Dieser erweiterte Ansatz macht deutlich:

- dass es nicht nur darum geht, das Spielen aufzugeben, sondern, dass eine Neueinstellung unseres Lebens nötig Ist.
- dass Grundprobleme und Engpässe in unserem Leben vorhanden sind, auf die ich eine Antwort finden muss, um weiterhin stabil zu leben.
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #152 am: 10 Juli 2022, 23:28:23 »
Also vorweg, der Austausch mit Euch allen hier ist für mich sehr wertvoll. Er hilft mir zu verstehen, wo ich stehe und sensibilisiert mich dafür, worauf ich aufpassen muss.

Ein bisschen spielen betäubt nicht meine Gedanken und Gefühle . Emotionen will ich ja grad beim Spielen nicht fühlen,also meine .....nicht die ,ob ich gewinne oder verliere. Für mich gibt es nur komplette Abstinenz,denn wenn ich einmal gespielt habe ,habe ich immer meine Grenzen überschritten und die Kontrolle verloren. 

LG Wolke

Spannend. Wie ganz am Anfang beschrieben, sind es bei mir wirklich zwei Phänomene: Das Kurse Checken - das ist Flucht, Ausweichen, Langeweile...

Beim Trading selbst bin den Großteil der Zeit wirklich vernünftig und es gibt diese punktuellen Exzesse. Da werden sicherlich wie wild Hormone ausgeschüttet und ich stehe völlig unter Strom, Emotionen pur.


Sagen wir es mal so......dir macht das Traden einerseits Spaß, du merkst aber auch ,dass du schon ein Suchtverhalten an den Tag legst. Deine Detox Woche tat dir gut,du beschreibst sie sehr positiv.  Aber ganz drauf zu verzichten möchtest du aus Geldgründen nicht,weil es Spaß macht,weil es Arbeit ist,ganz abstinent zu werden. Deswegen erklärst du dich hier und hoffst,daß andere deinen Weg auch gut finden,denn das würde dein Gewissen beruhigen. 
Niemand ausser dir selbst,muss damit klar kommen. Wenn du damit klar kommst ,dass dein Weg ist und du nicht das Gefühl hast dich selbst zu belügen ,ist doch alles super.

Mein Weg der Genesung  geht nur ,wenn ich gar nicht mehr spiele. 

LG Wolke

Ja das stimmt. Wobei es mir weniger um Zustimmung anderer geht (dann wäre ich ein Trading-Forum gegangen) sondern mir wirklich daran gelegen ist, ehrlich mit mir zu sein und mich und mein Verhalten zu reflektieren. Danke für die Gelegenheit dazu.


Dass er das Spiel meistern kann, auch wenn es immer nur für "ein Spiel" ist, er in die Kneipe, die Spielstätte, Spielothek oder in das Casino geht, um sich dann nach Stunden oder Tagen in einem fürchterlichen Zustand wieder zu finden.

Gibt es zwischen Spielotheken/ Casinos und Börse nicht wirklich einen qualitativen Unterschied? Automatenaufsteller und Casinos sind gewinnorientierte Unternehmen, die Bank gewinnt immer - und das ist strukturell. Heißt im Umkehrschluss, dass der Spieler langfristig immer verliert, Laienboxer gegen Cassis Clay. Börse ist ein Nullsummenspiel (abzüglich Transaktionskosten, die sich jedoch minimieren lassen) und wenn man hier seine Nische findet, kann man strukturell gewinnen. Nur muss man dann eben auch in seiner Nische bleiben und darf sich nicht zu Zockerei hinreißen lassen.

*

Offline Wolke 7

  • *****
  • 1.069
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #153 am: 11 Juli 2022, 05:44:26 »
Zitat
Gibt es zwischen Spielotheken/ Casinos und Börse nicht wirklich einen qualitativen Unterschied?

Mag sein, aber sie haben beide hohes Suchtpotenzial und das ist das Problem. Mir ging es nie ums Geld ,sondern um Betäubung und Ablenkung, ich brauchte einen Ort der Ruhe und den hatte ich da . Der Automat und ich . Er half mir in einer sehr schlimmen Zeit zu vergessen. Aber außerhalb der Halle wartete die Hölle,mittlerweile auch durch die neuen Probleme der Halle ausgelöst,also schneller ,öfters  und länger wieder rein in die Halle,bis beide Welten unerträglich wurden . Und dann ist der Leidensdruck riesig und man muss was tun. Ich musste das Loslassen, was mir anfangs so gut tat,auch Spaß machte und das ist nicht einfach und der Kopf sieht das am Anfang auch nicht ein. Das Leben da draußen macht mir doch Probleme, hier drinnen geht es mir doch gut......

Die Börse /das Traden.......ist  ein flexibler Raum /eine Blase,ähnlich wie das OC . Spürst du auch diesen Unterschied zwischen drinnen und draußen?

LG Wolke

*

Offline Olli

  • *****
  • 6.759
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #154 am: 11 Juli 2022, 06:41:15 »
Zitat
Gibt es zwischen Spielotheken/ Casinos und Börse nicht wirklich einen qualitativen Unterschied?

Moin!

Weder die Spielbank/die Casinos, noch die Börse haben ein Problem. Es ist derjenige, der sich dort hinein begibt und dort wiederholt die Kontrolle verliert.

Nicht jeder, der in eine Spielbank/in ein Casino geht (um mal bei den Beispielen aus dem Skript zu bleiben ... es entstand ja noch weit vor Online-Casinos und Trading for all), ist spielsüchtig. Je öfters man sich jedoch dort aufhält, desdo mehr gewöhnt man sich daran. Es macht auf einmal weniger Spaß, also wird das Risiko erhöht, die Einsätze gesteigert und die Spieldauer auch. Dadurch wird mehr Suchtmittel (Geld) benötigt. Nun kommt also die Suchtmittelbeschaffung zu der reinen Spielzeit hinzu. Die Gedanken kreisen immer mehr um das Thema. Man kann auch sagen, es nimmt immer mehr Raum im Leben des Spielers ein.

Gerade Pokerspieler und Trader, die bereits mehrfach die Kontrolle verloren haben und dies auch wissen, versteifen sich auf Taktiken - auf Logik.
Sie erklären, was man nur alles einhalten muss, damit die Kontrolle eben nicht verloren geht. Und sie sind stolz darauf, dass ihr Können - ihre Kompetenzen, in die sie viel Lebenszeit und Energie gesteckt haben, in zum Teil längeren Phasen auch funktioniert.

So lange die kurzen selbstzerstörerischen Phasen aber existieren, machen diese die Längeren immer wieder zunichte. Auch der Laienboxer wird immer wieder Schlägen ausweichen und sich aus der Reichweite des Profis heraus bewegen können, doch der wird immer irgendwann heran kommen und seinen einen Schlag ausführen können, der den Laienboxer zu Boden streckt.

Das Problem dabei ... die kurzen selbstzerstörerischen Phasen gehen nicht mehr weg ... sie üben nämlich bereits eine Funktion aus und das Gehirn hat durch massenhafte Wiederholungen in allen möglichen Ecken des Denk- und Verhaltensschemas der Person Verknüpfungen erstellt. Dies sind Abkürzungen, die ein Verarbeiten in verschiedenen Gehirnregionen unnötig machen. In den ersten Wiederholungen wurde das noch gemacht, doch die Ergebnisse waren immer gleich. Jetzt spart sich das Gehirn diese Arbeit. Dumm nur, wenn man die Ereignisse (Sinneswahrnehmungen, Gefühle) aufsplittet in ihre Einzelbestandteile, dann sieht man, dass auch "alltägliches" nun mit dem Glücksspiel verknüpft ist. Sei es ein Geräusch, welches sich vielleicht zufällig immer wieder mal ergeben hat beim Spiel (ein vorbeifahrender Zug z.B.) oder sei es die "Langeweile", die sich hier und da breit macht. Die ist aber ein Thema für sich und kann z.B. die Funktion aktivieren sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen, weil dabei, aus welchem Grund auch immer, negative Gefühle auftauchen.

Ein bisschen Spielen ist für uns daher keine Lösung. Wir müssen das Gehirn wieder umtrainieren - viel umfänglicher als die Bereiche für die Suchtausübung. Doch wenn wir die nicht komplett einstellen, bleiben die Synapsen, die Verknüpfungen erhalten und verkümmern eben nicht.
Im Gegenteil, sie werden ja gerade benutzt und darüber noch gestärkt.

Es hilft also keine Kompetenz - kein Können - kein "Wenn ich doch nur diese eine kleine Sache abstellen könnte!" - es hilft nur das Handtuch zu werfen. Der Gegner ist einfach stärker ... es macht einfach keinen Sinn weiter zu kämpfen.
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #155 am: 06 Juni 2023, 07:25:07 »
Fast ein Jahr ist vergangen seit meinem letzten Beitrag hier und ich habe neue Erkenntnisse erlangt – leider auf die schmerzhafte Tour. Vor zwei Wochen habe ich Kontrollverlust auf einer ganz neuen Ebene erlebt. Ich habe über einige Tage mehr Verluste als üblich eingefahren und dann einen völlig schwachsinnigen Trade gemacht. Bin dabei nicht nur ein unverhältnismäßig hohes Risiko eingegangen, sondern habe (weil nicht mehr Geld auf dem Konto war) eine große Menge Zertifikate dicht am KO gekauft, der auch zügig erreicht wurde. So habe ich nicht nur 10.000 Euro Verlust gemacht (der bei einer Bewegung in die andere Richtung ein Gewinn gewesen wäre), sondern durch das beim KO verlorene Aufgeld weitere 10.000 Euro der Bank geschenkt. So etwas hätte ich bei klarem Kopf niemals gemacht, mich hat da wirklich eine krasse Energie geritten. In einer Woche haben sich Verluste von 50.000 aufgetürmt – 20.000 davon innerhalb einer halben Stunde.
 
Das war natürlich ein Schock, den ich erst einmal verdauen musste. Habe seitdem viel über Sucht gelesen, hier und anderswo. Vor dieser katastrophalen Woche hatte ich nicht anerkannt, tatsächlich die Kontrolle verloren zu haben. Denn irgendwie war Kontrolle da, die Verluste waren schmerzhaft aber nie ruinös; ich konnte mein Konto über Wasser halten und musste nie nachschießen. Heute würde ich sagen, dass ich meine Suchtausübung durch gute, längerfristig angelegte Trades finanziert habe. Es blieb sogar ein Gewinn übrig. Zu Beginn meiner „Traderkarriere“ vor sieben Jahren habe ich relativ schnell 50.000 Euro Verlust aufgebaut, was vor allem Unerfahrenheit geschuldet war. Den hatte ich über fünf lange Jahre auf null ausgeglichen. Also hey, ich bin erfolgreich! Bei genauerem Hinsehen sah es so aus: Durch Trades mit längerfristigem Horizont (nicht unbedingt klassische Geldanlage, vor allem haben Short-Trades 2020 und 2022 zum Gewinn beigetragen) habe ich 150.000 Euro Plus gemacht. Was bei einer Kontogröße von durchschnittlich 250.000 Euro (es wuchs über die Jahre durch Ersparnisse an) schon ziemlich gut ist. Mit minimalen Zeitaufwand (wenige Stunden pro Woche) und einer geringen Zahl an Transaktionen.

Doch ich habe eben auch gezockt. Jemand anders hier hat den wiederkehrenden Gedanken schön formuliert: „Ich habe jetzt Lust zu traden - wo könnte ich einsteigen?“ Lust war es in meinem Fall nicht. Sondern die innere Leere, Unerfülltheit, Langeweile, das Defizit von dem Olli so oft schreibt. So entstand der Drang nach dem Nervenkitzel, und ich bin irgendwo eingestiegen - was halt gerade interessant aussah. Kein richtiges Setup, kein klarer Stop Loss – nicht erfolgversprechend, und so ging die Mehrheit der so gestarteten Trades auch schief. In Summe rund 100.000 Euro sind so bei anderen Markteilnehmern gelandet plus die 50.000 vor zwei Wochen, da dass ich jetzt wieder mit meinen 50.000 „Anfängerverlust“ dastehe. Bei enormem Zeitaufwand, diese Trades wurden engmaschig beobachtet. Anders gesagt: Ich habe auf den Chart gestarrt. Eine größere Bewegung in die richtige Richtung löste Glücksgefühle aus, eine in die falsche Schmerz. Gemischt mit dem Gefühl/ Gedanken: „Mensch, wenn ich jetzt auf die andere Richtung gesetzt hätte würde ich die Kohle gewinnen statt sie zu verlieren.“ Auch das hat jemand hier schön beschrieben mit „einen eingeschränkten Emotionenfundus exzessiv zu verspüren."

Und so ohne Verlust (unterm Strich… faktisch gingen so natürlich die Gewinne aus den längerfristigen Trades drauf) habe ich mich da ziemlich gut eingerichtet. Habe gelernt, wie ich an beruflichen Online-Meetings teilnehmen und parallel auf die Kurse schauen kann. Wie ich sie auch beim Abendessen mit der Familie zumindest alle paar Minuten checken kann (und mich kurz ausklinken, wenn Handlungsbedarf besteht). Zuhause, unterwegs – mir immer den Kick geben zu können, oft gefolgt von Schuldgefühlen weil es in der Regel eben nicht so gut lief. Aber manchmal eben auch von Euphorie. Zweifelsfrei Suchtverhalten, das räume ich jetzt komplett ein. Und eben nicht nur „quartalssüchtig“, wie ich mich noch für kurzem klassifiziert hätte. Alle paar Monate (wobei die Abstände immer kürzer wurden) gab es Exzesse, aber die Suchtausübung war konstant da. Außer, etwas anderes hat mich voll ausgelastet. Eine Beziehungskrise, ein neues Projekt in der Arbeit, ein privates Vorhaben für das ich mich begeisterte… Dann kam der Druck gar nicht auf.

Vor einigen Jahren, also mit Mitte 40, wurde bei mir ADHS diagnostiziert. Hauptmerkmal ist Abgleiten in Hypofokus („Konzentrationsstörung“), wenn etwas als langweilig erscheint; und die ständige Suche nach dem Hyperfokus, den ich im Trading immer fand. Dazu dann noch die gestörte Impulskontrolle – und schon entsteht das, was ich oben beschrieben habe. Nach meiner ADHS-Diagnose bekam ich eine Kurzzeit-Therapie von der Kasse bezahlt. Darin spielte Trading nur eine untergeordnete Rolle bzw. habe ich Börse sogar als eines der Dinge eingeordnet, die mich interessieren und wo mich gut konzentrieren kann. Da keine Verluste entstanden, hat die Therapeutin das nicht groß problematisch gesehen – bis auf die Quartalsexzesse (die ich als Verlustbringer ja auch los werden wollte), die jedoch nie zum Schwerpunkt der auf ADHS ausgerichteten Therapie wurden. Im Hinblick auf Alltagsbewältigung hat sie wirklich etwas gebracht. Das Suchtverhalten flog aber komplett unter dem Radar.

Natürlich habe ich mich in den letzten Tagen immer wieder gefragt, worin das Defizit besteht. Sonnenuntergänge und Vogelgezwitscher kann ich genießen, ich gehe gerne in die Berge, Meditiere seit vielen Jahren. Die Attacken kommen plötzlichen wegen Themen, die in anderen Threads auch anklingen: Eine eingefahrene Beziehung. Ein Alltag mit Haus und Kind, der mit ADHS nicht ganz einfach zu bewältigen ist. Vor allem aber kein echtes Interesse an der Arbeit und daraus resultierende der Wunsch, finanziell unabhängig zu sein.

Irgendwann fragst di wieso
quäl i mi da so schrecklich ab
und bin ned längst scho was Gott wo

Und irgendwann bleib i dann dort
lass alles liegn und steh'
geh von daham für immer furt

https://www.youtube.com/watch?v=93nNmegkQos – ironischerweise kommen vorher die Zeilen:

In unserer hektomatik Welt
draht sich alles nur um Macht und Geld
Finanz und Banken steig'n ma drauf
die Rechnung die geht sowieso nie auf

Wie wahr. Dennoch war das (vorgeschobenes?) Ziel meiner Suchtausübung, neben dem direkten Kick daraus. Mich interessieren Eure Meinungen und Einsichten dazu. Und natürlich, was nächste Schritte sein könnten: SHG, eine erneute Therapie mit Schwerpunkt Sucht? Oder einfach Konten sperren und schauen was passiert?

Denn natürlich muss ich mein verbleibendes Kapital schützen. Ich habe eben oben die Größe meiner Konten genannt. Ich bin selbständig, das Geld sind Rücklagen für schlechte Zeiten und fürs Alter.

Deshalb bin ich nun dabei, meine Depots auf Risikoklassen zurückzustufen, mit denen ich keine Termingeschäfte mehr tätigen kann. Das ist für mich ein wirklich schwerer Schritt für mich, weil:
-   Ein Teil von mir sich immer noch für einen guten Trader auf der mittelfristigen Ebene mit einem Problem auf der kurzfristigen hält…
-   Ich bestimmte Basiswerte nicht mehr handeln können werden, mit denen ich zumeist ganz guten Gewinn gemacht habe.
-   Ich die 50.000 Euro in den Verlustverrechnungstöpfen habe und sie auf die Sicht von Jahren nicht mehr ausgleichen können werde
-   Einige gehebelte Positionen im Verlust oder nahe null stehen und ich fest davon ausgehe, dass sie in den Gewinn laufen, wenn ich sie laufen lassen würde...
-   Sich ein Teil von mir als Loser fühlt. Noch vor wenigen Monaten hatte ich mein Konto ausgeglichen, jetzt höre ich dick im Minus auf. Das knabbert an meinem Ego.

Aber der totale Kontrollverlust vor zwei Wochen beweist schließlich, dass ich den Schritt tun muss.

*

Offline Rubbel

  • *****
  • 653
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #156 am: 06 Juni 2023, 09:49:30 »
Hi,
ich kann nicht über die Inhalte von Trading oder Spekulationen diskutieren - würde ich auch nicht wollen - kann Dir aber mitteilen, dass ich gar nicht alles aufnehmen konnte. Ich denke an jemanden, der mit einem verschwitzten Pferd galoppiert mit dem Lasso in der Hand und vielen anderen Ersatzlassos um den Hals, das Tempo nicht drosselt, nie absteigt, obwohl schon lauter Exkremente in der Lederhose ...
Du widmest Deinem Bericht lauter Einzelheiten aus der Welt dessen, was Dich krank macht und krank hält. Über Dich selbst kann ich kaum was sehen/lesen. In meiner Vorstellung nehmen diese ganzen Gedanken nahezu 24 h am Tag ein. Macht Dich das nicht 'kirre'?
Ich meine: Wenn Du eh schon ADHS hast ... (was verbindest Du zwischen ADHS u. Deinem Verhaltensproblem? Nimmst Du Ritalin?)
Wie möchtest Du Dein Leben leben? Gibt es sonst noch was Wichtiges für Dich?
Dein Text ist zumindest für mich total erschreckend bzw. beim Lesen blieb mir schon die Luft weg (das meine ich ganz ehrlich), was auch der Grund ist, weshalb ich das nicht akribisch mental verfolgen konnte. Ich weiß nicht, wie es anderen geht.
Ich will Dich nicht echauffieren, nicht angreifen, nicht maßregeln.
Ich hab den Eindruck, dass Du Dir eine wirklich laaaange Zeit gönnen solltest, um umzulernen und Dich auf Dich selbst und Deine eigentlichen Bedürfnisse zu fokussieren. Wagst Du Dich das? Ist wahrscheinlich ein höheres Risiko als das, was Du mit diesem von Dir geschilderten Problem eingehst.
Viele Grüße
R
« Letzte Änderung: 06 Juni 2023, 21:23:54 von Rubbel »
--Meist ist Geist geil--

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #157 am: 06 Juni 2023, 13:00:11 »
Moin Aranyaka,

zunächst mal : ich finde das toll – sehr mutig – dass Du Dich mit diesem Text hier wieder meldest und „die Hosen runterlässt“. Ich habs heute morgen gelesen und hab mir bis geradeeben nochmal den gesamten Thread durchgelesen.
Ergebnis:
1.) Lösungsmöglichkeiten für Dein Problem wurden Dir von vielen in unterschiedlichen Ausprägungen angeboten (u.a. stationäre Therapie)
2.) der gesamte Thread ist in meinen Augen ein sehr wertvoller für alle die an der Börse aktiv werden wollen oder es sind
3.) einige Teilnehmer haben mehr oder weniger ihre Erfahrungen geschildert bzw. ihr Leid geklagt und sind dann zu digitalem Staub verkommen. DAS IST SEHR SCHADE! Bitte meldet euch mal wieder….
Hast Du Personen (Geschwister, Ehefrau, Freunde), die Deine Geldanlagen auf Deinem Konto nach Deinen Vorstellungen ausführen könnten

Einmal schütteln, Kopf hoch, Krone richten und denk dran:

es ist nur Geld

Gruß Rainer
« Letzte Änderung: 06 Juni 2023, 14:29:41 von digger »
… Freedom's just another word for nothin' left to lose ....

*

Offline Rubbel

  • *****
  • 653
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #158 am: 06 Juni 2023, 13:07:21 »
Das muss ich ja mal loswerden:

Hi Digger ... da bisse ja wieda. Schön! :))
--Meist ist Geist geil--

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #159 am: 06 Juni 2023, 13:39:50 »
tscha, wenn ich was zu sagen hab dann meld ich mich auch an. ansonsten gehöre ich zu den "Geistern". bin aber fast jeden Tag am mitlesen ..... 8)
… Freedom's just another word for nothin' left to lose ....

*

Offline Rubbel

  • *****
  • 653
Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #160 am: 06 Juni 2023, 13:57:07 »
*Cha-Cha-Cha*
--Meist ist Geist geil--

*

SuchtkrankerMensch

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #161 am: 06 Juni 2023, 14:53:24 »
*Respekt* PM...

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #162 am: 06 Juni 2023, 17:38:32 »
Der andere Weg ist, wenn man sein Geld einem Unternehmen das gerne in den Medien genannt wird anvertraut und nach 5 Jahren merkt, dass man zwar keine Verluste eingefahren hat aber in erster Linie hohe Gebühren bezahlt hat. Rendite plus minus Null. Die Finanzwerte haben im selben Zeitraum nicht unerheblich zugelegt. Auch dies ist nicht sehr angenehm. Und fördert bestimmt nicht das Vertrauen in die Finanzindustrie. Heute mache ich alles ausser die Finanzierung der Wohnung online und fasse langsam aber sicher wieder mehr Selbstvertrauen.

Wichtig ist, dass man erkannt was schief gelaufen ist und daraus seine Lehren zieht.
« Letzte Änderung: 06 Juni 2023, 17:40:35 von Gamblerjoe »

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #163 am: 06 Juni 2023, 18:00:59 »
Also mir geht es auch so 24 h Vollgas im Kopf. Das macht's mit der sucht nicht leichter

Re: Spekulationssucht: süchtig nach Daytrading / Börse
« Antwort #164 am: 07 Juni 2023, 11:03:24 »
Danke für Eure Beiträge und PN. Ich sehe hier drei etwas unterschiedliche Themen und versuche, die ein wenig zu entflechten:

1) ADHS und Spielsucht/ Trading-Sucht generell

Dazu ist in diesem Forum ja schon einiges geschrieben worden. Aber fast zu wenig dafür, dass es da so klare Zusammenhänge gibt. Schön knapp zusammengefasst sind die z.B. hier: Edit Olli: schädlichen Link entfernt

Kernsatz für mich ist: "Betroffene seien leicht abzulenken und reagierten auf starke Stimuli. Anders als bei alltäglichen oder beruflichen Aktivitäten ermöglichten es besonders stimulierende Aktivitäten den Betroffenen, auch über längere Zeit 'bei der Sache zu bleiben'. Eine solche besonders stimulierende Aktivität könne das Glücksspiel sein, insbesondere an Spielautomaten mit ihren typischen blinkenden bunten Lichtern und eindringlichen Klängen." Oder eben sich ständig bewegende Charts, an welche die eigenen Gewinne oder Verluste geknüpft sind.

Und gemeinerweise gibt es eine Dosis, die durchaus hilfreich sein kann. Um das zu erklären, möchte ich ein wenig ausholen: Es gibt ADHSler, die in Großraumbüros am besten arbeiten können. Der ständige Geräuschpegel, das Hin- und Herlaufen der Leute sorgt für eine Grundstimulation, auf deren Grundlage konzentriertes Arbeiten dann einigermaßen möglich ist. So geht es mit tatsächlich auch. Habe eine Anekdote gelesen von einem ADHSler mit Schlafstörungen, der entdeckt hat, dass er am besten einschlafen kann, wenn seine Mutter gerade staubsaugt. Also kam er auf die Idee, das Staubsaugergeräusch aufzuzeichnen und immer anzuhören, wenn er abends ins Bett ging - und auf einmal konnte er gut einschlafen. Das wurde später zum Problem, als er mit seiner Freundin zusammenzog ;)  Aber zurück zum Thema: Ein parallel zur Arbeit laufender Trade, eine kleine Position die über den Tag einen überschaubaren Gewinn oder Verlust bringt, kann auch eine solche Funktion erfüllen und die Aufmerksamkeit des ADHSlers im positiven Sinne binden. Was für Neurotypische eine Ablenkung oder Störung wäre, kann für den ADHSler etwas sein, das ihm bei seinem eigentlichen Vorhaben (Einschlafen oder Arbeiten) hilft, weil es für eine Grundstimulation sorgt. Klingt vielleicht seltsam, ist aber tatsächlich so... um das zu illustrieren habe ich auch die Anekdote mit dem Staubsauger eingebaut.

So habe ich das mehr oder weniger während der Corona Home Office Zeit gemacht. Ein bisschen Trading nebenbei hielt mich am Schreibtisch und hat mir tatsächlich geholfen, meine auch damals schon nicht wahnsinnig spannende Arbeit zu bewältigen. Das war die Zeit, in der ich auch tatsächlich Gewinne gemacht und mein Konto von -50.000 zurück auf null geführt habe. Aber ja, ich habe in dieser Zeit wohl ein Suchtverhalten etabliert. Was uns zum zweiten Thema führt:


2) Meine Geschichte mit ADHS und Trading

Da es sich hier um ein Suchtforum handelt, habe ich gestern vor allem von meiner Sucht geschrieben. Ich habe daneben sehr wohl ein Leben, und zwar ein ziemlich gutes mit Frau, Kind, Eigenheim und etablierter Selbständigkeit. Ich reise gerne (bin in diesem Moment in Griechenland), habe Freunde, bin viel in der Natur, genieße gerne... Habe aber tatsächlich Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung. Einkaufen ist eine überfordernde Stresssituation, Aufräumen ein Kraftakt den ich so lange wie möglich vor mir herschiebe. Inzwischen weiß ich, dass das zum ADHS-Symptomkomplex gehört. Ritalin habe ich über ein Jahr lang genommen (30 mg, also eher gering dosiert; würde auch sagen, dass ADHS bei mir eher nicht so stark ausgeprägt ist) und über Weihnachten auf Anraten der Psychiaterin eine Pause gemacht die ich bis heute verlängert habe. Weil ich merke, dass ich auch ohne Ritalin besser klar komme als vor der Diagnose - wohl durch die Verhaltenstherapie und die Gewohnheiten, die ich mir während der Ritalineinnahme zugelegt habe. Aber tatsächlich war auch das Trading ein Baustein meiner Bewältigungsstrategie! Einen direkten Zusammenhang (positiv wie negativ) zwischen Ritalin und meinem Tradingverhalten konnte ich nicht feststellen.

Es gab Phasen, in denen der Frust über den Alltag besonders stark war. Ausgeprägt 2018, danach nur sporadisch und wieder recht ausgeprägt seit 2021 - was auch der Anlass war, mich hier anzumelden. Das Trading wurde dann von einem netten Spielchen nebenher zu dem manischen Rausch, den ich oben beschrieben habe. Aber eben keineswegs täglich sondern in Episoden, deren Frequenz und Heftigkeit in letzter Zeit jedoch deutlich zugenommen haben. Doch auch das lief noch in einem einigermaßen kontrollierten Rahmen ab, ich hatte stets rund 250.000 Euro auf termingeschäftsfähigen Konten liegen. Gezockt habe ich immer nur mit kleinen Teilen davon, mehr als 2.000 oder 3.000 Euro Verlust (oder Gewinn) ist an einem Tag fast nie entstanden - obwohl wesentlich höhere Risiken jederzeit möglich gewesen wären. Deshalb war das vor zwei Wochen ein echter Schock, weil ich da genau diese Grenzen überschritten habe.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist der Wunsch, dem stressdurchsetzten Alltag zu entfliehen. So wie jetzt in Griechenland in der Sonne auf dem Balkon zu sitzen, nachher mit meiner Tochter zu spielen und im Meer zu baden - wunderbar. Dafür braucht es halt Geld, und das erhoffte ich mir mit dem Trading zu verdienen. Bis vor dem Schock vor zwei Wochen fand ich das nicht mal unrealistisch und selbst jetzt glaubt ein Teil von mir noch daran. Aber dem ziehe ich jetzt mal den Stecker.

Als meine nächsten Schritte halte ich eine stationäre Therapie oder das Übertragen meiner Finanzen an jemanden anderen für übertrieben. Möchte das aber zur Diskussion stellen weil es natürlich sein kann, dass ich mir da in die Tasche lüge. Eine SHG und/ oder ambulante Therapie scheinen mir dagegen sinnvoll. Bis vor zwei Wochen war keine echte Krankheitseinsicht da, sonst hätte ich hätte ich nicht mein ganzes Vermögen auf Trading-Konten liegen gehabt. Das ändere ich jetzt, und erhalte mir mit Zugriff auf ungehebelte Anlageformen die Möglichkeit, mein Geld sinnvoll anzulegen.


3) Schutz Tradingsüchtiger

Was ich erlebt habe bei dem Unterfangen, mein Kapital zu schützen, fand ich völlig unbefriedigend. Man kann seine Risikoklasse so ändern, dann man keine hochriskanten Geschäfte mehr tätigen kann, oder nur noch ganz konservative. Aber ein mit ein paar Klicks hat man seine Termingeschäftsfähigkeit wieder. Hier sollte es die Möglichkeit geben, sich für bestimmte Fristen zu sperren bzw. eine Wiederzulassung nur mit gewissen Vorlaufzeiten zu ermöglichen.

Ebenfalls relativ leicht umsetzbar wäre es, den Kauf von KO-Zertifikaten nur bis zu einem gewissen Hebel zu erlauben. Bei CFD wurde das bereits umgesetzt (maximaler Hebel 1:20), sie bleiben aber für meine Begriffe Teufelszeug und die dafür gemachten Apps sprechen das Zockerherz besonders an. Hinzu kommt, dass man damit erzielte Verluste steuerlich kaum verrechnen kann. Bei KO-Zertis kann man jedoch wesentlich höher hebeln, bei meinem Kamikaze-Trade habe ich einen Schein mit einem Hebel von fast 200 gekauft (was ich bei klarem Verstand niemals gemacht hätte!!). Das heißt: Mit einem Einsatz von 10.000 Euro bewegt man 2 Mio. Euro! Bewegt sich der Basiswert um 0,5%, verändert sich der Kontostand um 10.000 Euro - wenn nach unten, ist das gesamte eingesetzte Kapital weg - und das kann leicht in weniger als einer Stunde passieren. Bei Hebel 50 sind es 2%, das kann sich innerhalb eines Tages locker ereignen. Eine Regelung, dass Scheine nicht mehr zu Kauf angeboten werden dürfen, sobald der Hebel 20 überschreitet, wäre zumindest ein Minimalschutz der "Anleger". Bewusst in Anführungszeichen, denn schon wer Hebel oberhalb von 20 kauft legt nicht mehr an sondern zockt. Zumindest in 99% der Fälle.

Keine Ahnung, wie und wo man so was einsteuern kann. Aber der Schutz Tradingsüchtiger geht tatsächlich gegen null und da es gar nicht so wenige davon gibt, ist das eigentlich untragbar.

Schließe mich digger an, es wäre schön auch von den anderen Betroffenen mal wieder etwas zu lesen!
« Letzte Änderung: 07 Juni 2023, 20:25:38 von Olli »

 

Wir danken dem AOK Bundesverband für die Finanzierung des technischen Updates dieses Forums