Oh, guten Abend,
nun, wenn ich jetzt anfange, darüber nachzudenken, könnte das wieder recht lang und wirr werden, aber ich kann eh gerade nicht schlafen, auch wenn ich es eigentlich besser tun sollte.
Nähe bedeutet Verletzbarkeit, Distanz gibt mir ein Gefühl von Sicherheit - sie kompensiert meine eigene Unsicherheit im Umgang mit meiner Umgebung. Die meiste Zeit versuche ich eigentlich, Leuten generell aus dem Weg zu gehen, und das weit über den 'persönlichen Bereich', wie etwa eine Umarmung zur Begrüßung (die Einzige Person überhaupt, die das bei mir tut, ist meine Schwiegermutter, die ist da ziemlich schmerzbefreit), hinaus.
Als ich heute auf dem Weg nach Hause um die Ecke bog, sah ich von Weitem meine Nachbarin vor der Haustür stehen, und in ihrer Tasche nach ihrem Schlüssel kramen. Die Tatsache, daß ihr kleiner Sohn dabei ständig an ihrem Arm zog, um sie auf eine neben dem Fahrradständer dösende Katze, die anscheinend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollte, aufmerksam zu machen, erschwerte ihr die Sache.
Ich blieb also an der Ecke stehen, und starrte sinnlos auf mein Handy, bis die beiden endlich durch die Eingangstür waren, um sicherzustellen, daß ich nicht mit ihnen zusammen im Fahrstuhl enden würde...
Das ist kein Einzelfall. Ich verringere auch mein Lauftempo, oder bleibe ganz stehen, damit ich ja nicht bemerkt werde, wenn zum Beispiel ein Arbeitskollege vor mir geht. Ich nehme dann den nächsten Bus, oder steige in einem anderen Wagen in die Bahn, nur damit ich während der Fahrt nicht zehn Minuten Smalltalk halten muß...
Läßt sich das nicht vermeiden, oder war ich mal wieder zu verplant, sowas rechtzeitig zu bemerken, kann es sogar passieren, daß ich unter einem Vorwand irgendwo aussteige, wo ich gar nicht hinwill, um mit der nächsten Bahn weiterzufahren.
Ja... ich bin immernoch gefangen in meiner Komfortzone. Ich kann nicht anders... ich nehme viel auf mich, um dieses Unbehagen des Sich-Fehl-am-Platz-Fühlens zu umgehen.
Ich weiß, daß da nicht wirklich viel in mir steckt außer ein bißchen kosmisches Rauschen. Auch, wenn ich definitiv weiß, wie sie
nicht aussieht, so wüßte ich nichtmal, wie eine nach meinem verschrobenen Bild heile und gute Welt eigentlich im Idealfall aussehen sollte. Denn Ehrlichkeit... das schaffe ich ja manchmal nichtmal mir selbst gegenüber. Oftmals kann ich auch gar nicht ehrlich sagen oder benennen, was Sache ist, geschweige denn, wie gesagt, Richtig oder Falsch. Angstbeißen kenne ich auch. Heute ist die Reaktion nicht mehr das verbale Austreten, der beißende Sarkasmus und die kopflose Vorwärtsverteidigung... aber das Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, mich einer Sache gegenüber hilflos zu fühlen, das gibt es heute noch... weit öfter, als ich zugeben mag.
Ich will einfach weg, meine Ruhe haben, aber ich kann nicht... weil da irgendwer einfach nicht aufhört. Es fängt an zu brodeln. Ich kann nicht, ich will nicht, laß mich in Ruhe.
Ich fühle mich dann in die Ecke gedrängt von... ja, wovon eigentlich?
Es ist für andere in dem Moment unsinnig, sie verstehen nicht, daß mir das grad wirklich zusetzt, wenn sie denn überhaupt etwas mitbekommen, da ich immer versuche, es nicht zu zeigen. Denn ich will es nicht erklären, ich kann es auch gar nicht. Stattdessen versuche ich, beiläufig zu bleiben, während ich unter vollem Einsatz aller Kräfte damit zu kämpfen habe, die Sicherung in meinem Kopf mit aller Gewalt in die Fassung zurückzudrücken.
Dann wird alles schlimmer, und die Ruhe kann ich erst recht vergessen...
Havarie auf ganzer Linie. Statt den Konflikt (der nur in meinem Kopf stattfindet, und den außer mir nichtmal jemand wahrnimmt) frühzeitig zu lösen, isser zum internen Supergau mutiert, bei dem ich nun drohe, innerlich zu platzen.
Ist mir vor ein paar Wochen erst wieder passiert, wegen einer bescheuerten Autobatterie.
Ich wollte das nur eben machen, das hatte ich mir vorgenommen.
"Warte, ich helfe dir."
Nein... ich will doch allein sein...
Diese Geschichte war so absurd, ich kann sie nichtmal wiedergeben, und sie endete in der mir leider nur allzu bekannten Sackgasse... alles nur, weil ich für eine Weile abschalten wollte, aber nicht konnte...
Das hat mich so aus der Bahn geworfen, daß ich mir nicht anders zu helfen wußte, als irgendwann zu sagen "Geh einfach. Geh mit Gott, aber geh.", was natürlich nicht gut ankam und auch noch das Gegenteil zur Folge hatte. Hatten wir nichtmal von Schreien geredet? In diesem Moment hätte ich das am liebsten getan. Einmal tief einatmen, dann laut und lange.
Nachdem der (nun irgendwie leicht wütige) Abmarsch endlich erfolgte, stand ich alleine auf dem Parkplatz und mußte erstmal meine Hände unter Kontrolle bringen. Puh. Alles gut.
Ich schüttelte den Kopf und machte einfach weiter. Endlich hatte ich meine Ruhe.
Ich kam runter, das Alleinsein und Vor-Mich-Hin-Werkeln wirkte. Aber bevor ich später wieder reinging, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Hey, das war falsch, das war übertrieben. Wer soll das auch verstehen?
Ich hatte noch die Nachwirkungen dieses hilflosen Gefühls der Enge im Bauch, aber mein Kopf sagte mir, meine Reaktion sei falsch und ungerecht gewesen.
Womit wir beim nächsten Problem wären. Ich kann nicht auf jemanden zugehen und mich entschuldigen... oder erklären.
Ich gehe dann später einfach rein, und tu, als sei nichts gewesen.
Abends hieß es dann "Du hast manchmal leicht autistische Züge, irgendwie ein bißchen zwanghaft. Wenn du etwas machen willst, und man stört dich dabei, dann wirft dich das aus der Bahn."
Das hat mich irritiert... "Mhhh... Keine Ahnung. Aber... wenn du das weißt, warum tust du es dann?"
Das versteh mal einer...
Ich hege eine tiefe Abneigung gegen Abhängigkeiten - in beide Richtungen. Es gibt sie auch in gesunder Form, bei Familien mit Kindern, besonders wenn einer zu Hause bleibt, oder wenn jemand krank oder pflegebedürftig ist, und nicht alleine klarkommt - aber unter erwachsenen Personen sollte es sowas sonst nicht geben, egal in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Das ist eines der wenigen Dinge, wo ich manchmal innerlich erschrecke, wie stark meine Empfindungen da sein können. Zu Hause, aber auch als 'Beobachter' bei anderen.
Sicher gibt es manchmal Situationen, in denen einer dem anderen temporär unter die Arme greift... aber sobald sich dauerhaft eine Selbstverständlichkeit und Erwartungshaltung manifestiert, wird es ungesund.
Zumindest nach meiner Auffassung.
Als ich den Begriff der Coabhängigkeit zum ersten Mal las, klang es für mich ein wenig nach 'nicht allein lebensfähig'. Es hat für mich eine Weile gebraucht, zu verstehen, was damit eigentlich genau gemeint ist.
Ich kannte zwar das Wort vorher nicht, wie sowas aussieht, das wußte ich dann aus eigener Erfahrung aber leider sehr wohl.
Für Liebe war in meiner aktiven Zeit sowieso kein Platz. Es war zweckführend, daß jemand da war, der mich auffing, wenn ich mich mal wieder im freien Fall befand. Wenn es meiner Suchtausübung dienlich war, konnte ich auch ganz nett sein... zumindest zeitweise. Es war keine Beziehung, sondern ein Mittel zum Zweck - für mich. Nähe und Zuneigung gab es da nicht.
Liebe ist ein schönes Gefühl, heute kenne ich es. Zeigen allerdings kann ich das nicht sehr gut, was manchmal etwas frustrierend sein kann, und es tatsächlich zuzulassen war etwas sehr Persönliches und brauchte seine Zeit. Alles in mir hat sich lange dagegen gesträubt. Manchmal macht es mir auch heute noch ein wenig Angst, weil es mich irgendwie verletzlich macht... und mit Nähe und Vertrauen verbunden ist - auf beiden Seiten.
Alles Dinge, die ich zu meiner aktiven Zeit nicht empfinden wollte oder konnte.
Wenn ich spiele, kann man mir nicht vertrauen. Ich kann auch anderen nicht vertrauen, da sie mich ja nur sabotieren wollen. Mir geht es außerdem gut, geh weg, laßt mich bloß in Ruhe.
Das ist das genaue Gegenteil von Liebe.
Ja, Liebe sollte 'bedingungslos' sein, aber ein sehr ausgeprägtes Harmoniebedürfnis auf der einen, und eine rücksichtslos ausgelebte Sucht auf der anderen Seite, machen eine gesunde Balance unmöglich.
So war es bei mir. Und so wäre es auch wieder, sollte ich etwas Dummes tun.
Ich wäre heute noch nicht trocken, wäre ich damals nicht (wenn auch aus einer völlig fehlgeleiteten Interpretation meines Verhaltens heraus) vor die Tür gesetzt worden, da bin ich absolut sicher.
Ich bin (wieder) mit genau der Art von Person zusammen, mit der ein sorgenfreies Leben im Luftschloß ziemlich lange möglich wäre. Sollte die Balance wieder kippen, würde das uns beide in den Abgrund reißen...
...mir ist das absolut klar.
Allerdings ruht mit meiner Suchtausübung auch diese Art von ungesunder Abhängigkeit. Ich möchte nicht, daß mir jemand etwas abnimmt, was ich selbst erledigen kann (und sollte). Entscheidungen selbst zu treffen ist mir sehr wichtig, auch, oder gerade weil, ich mich damit oft sehr schwertue. Manchmal dauert das, aber da muß ich eben durch. Das klingt wahrscheinlich irgendwie seltsam, aber mein persönliches Recht, auch mal auf die Fresse fliegen zu
dürfen empfinde ich als essentiell wichtig.
Ich hab ein Problem, dann löse ich es.
Tue ich das nicht, bin ich selbst Schuld.
Ich will etwas haben, dann kauf ich's mir.
Tue ich das nicht, brauche ich es auch nicht.
Wenn ich etwas sage, dann meine ich es auch so, das bedarf keiner 'Interpretation'.
Und wenn ich nichts sage, habe ich Pech gehabt.
Es ist auch jetzt nicht immer einfach, und sorgt immernoch manchmal für Unverständnis, wird inzwischen allerdings meistens wortlos akzeptiert.
Meine Beziehung ist da auch nicht klassisch, es ist ein wenig kompliziert, auch wenn es einfach aussieht. Die Leute sagen über uns, unser "Leben und Lebenlassen" ginge weit über das normale Maß hinaus, und beinhaltet ein Übermaß an Toleranz und Vertrauen.
Naja... die kleinen Mißverständnisse unseres Lebens bekommt ja auch keiner mit... und wir sprechen ja nichtmal miteinander darüber, vielleicht auch, weil jeglicher Versuch in die Richtung erfahrungsgemäß zum Scheitern verurteilt ist.
Davon abgesehen ist das okay. Komplette Harmonie gibt es nie.
Ich denke nicht, daß es einfach mit mir ist, auch wenn die meisten Außenstehenden mich als 'pflegeleicht' bezeichnen würden. Zuwenig zu reden ist eben manchmal auch nicht gut.
Meine Kollegin sagte letzte Woche zu mir (nachdem ich ihr, nach einem halben Tag künstlich-empörter (und faktisch inkorrekter) Tiraden ihrerseits, sagte, wie egal mir ihr gerade aktueller Disput mit unserem Chef ist): "Eine Zusammenfassung deiner Person in einem Satz: 'Der Weg des geringsten Widerstands'."
Die hellste Kerze auf der Torte ist sie eigentlich nicht, deshalb war ich da schon etwas erstaunt ob ihrer Weitsicht.
Ich habe kürzlich einen Beitrag (der irgendwie mal wieder etwas lang wurde) zum Thema "Warum zählt man die Tage?" geschrieben. Meine Kernaussage war eigentlich nur, daß die verstrichene Zeit irrelevant ist... es kommt darauf an, ob und inwiefern ich es schaffe, einen 'inneren Wandel' zu vollziehen. Hierbei gehöre ich aber offenkundig zu den langsameren Kandidaten.
Ich habe meine Abstinenzentscheidung schon lange nicht mehr in Frage gestellt, weder offensichtlich, noch 'hintenrum'. Ich wundere mich nur gelegentlich, auf welcher Art von Fundament das Ganze für mich heute eigentlich steht. Ist es eine Kopf- oder eine Vernunftssache?
Es fühlt sich nicht mehr an wie "Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch", aber gab es da überhaupt je einen Punkt, wo sich das 'plötzlich' geändert hat, oder ist es einfach nur abgeschwächt mit der Zeit?
Ich habe gelernt, es für mich selbst so zu akzeptieren, und das hat lange genug gedauert. Offen dazu zu stehen ist allerdings nochmal was anderes...
Und das gilt leider nicht nur für meine Vergangenheit und das, was sie heute noch nach sich zieht, sondern eigentlich für alle Bereiche meines Lebens.
Meinen Arsch zu bewegen ist nicht auch nicht so meine Stärke, dazu muß ich mich immer recht lange durchringen.
Aber ich mag Tee.

Gute Nacht allerseits.