Glücksspielsucht > Tagebuch

Wie konnte ich nur so dumm sein?!

(1/18) > >>

Mr. Nobody:
Guten Abend zusammen,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin hochgradig spielsuchtig. Um genau zu sein so spielsüchtig, dass ich in den letzten 5 Jahren so viel verzockt habe, dass es gestern zum Finale kam.

2017:
Eigenes Haus mit meiner (Ex-)Frau. Es ist alles nicht mehr so toll. Im August verlässt sich Sie mich und ich war alleine in dem großen Haus. War eigentlich gar nicht so schlecht. Ich wollte auch nicht mehr, konnte es ihr aber nicht sagen. Danach begann im Grunde einerseits die schönste Zeit meines Lebens. Viele schöne Frauen kennengelernt und viel Spaß gehabt. Eigenes Haus, gutes Auto, guter Job.  Andererseits begann die schlimmste Phase meines Lebens (bis heute), denn ich habe angefangen zu wetten. Wie wahrscheinlich bei vielen, erstmal kleine Einsätze, mal 10 €, dann 50 €, mal gewonnen und mal verloren. Alles easy. Dann irgendwann ging der Standardeinsatz auf 500 € hoch. Auch noch alles gut.

2018:
Haus verkauft, schöne Wohnung in meiner Heimatstadt gekauft. Geile Wohnung mit riesigem Balkon, Hab sie mega eingerichtet und habe mich richtig wohl gefühlt. Wieder angefangen zu trainieren. Lief alles. Nebenbei immer noch gewettet. So langsam war es spürbar, dass ich mehr verliere als gewinne. Egal, Kredit aufgenommen (20Tsd€) und weiter gemacht. War alles easy zu bezahlen. Irgendwann dachte ich mir, ach komm, verkauf den Volvo und kauf dir was sportliches. Übergangsweise ein Auto für 400€ gekauft (was ich heute noch fahre) Nochmal Geld vom Verkauf bekommen und weiter gezockt.

2019:
War relativ unspannend. Alles bezahlt, reichte für Urlaub etc. Deswegen spare ich mir das Jahr.

2020:
Neuen Job angenommen, für den ich umgezogen bin. Kleine 1-Zimmer Wohnung am Telefon bekommen. Alles gut soweit. Ich ziehe kurz dort ein und suche mir dann was vernünftiges. Bekomme mit dem neuen Job mehr Geld, habe ungefähr noch 4000€ auf Kante, an Auto etc. war nicht mehr zu denken. Egal,  sage ich, ich brauche eigentlich eh keins und kann das so begründen. Kohle beinahe verzockt und wurde unruhig, dass ich noch 15 Tage mit 500 € auskommen muss, bis das nächste Gehalt kommt.

2021: Bank gewechselt, durch meine Top Bonität mit 40tsd€ Kredit den einen abgelöst und war wieder flüssig. Arbeit war scheiße, Chefin war die Hölle. Egal, ansonsten war es relativ unspannend.

2022: Kohle war wieder so gut wie verzockt. Es wurde eng. Konnte noch meine Kreditkarten vollballern, oder sollte ich sagen leerballern. Von meiner Mama 1000 € geliehen, sie angelogen, dass ich auf Geld warte, was ich dann in meine EGW lege. Im August zum Glück einen neuen Job bekommen, mit dem ich nochmal mehr verdiene. Jetzt wieder alles besser. Damit werde ich den Berg abzahlen und alles wird gut.

2023: Ich habe haufenweise Lastschriftrückgaben getätigt. 2000 € Miete im Verzug, 1500 € an den Verwalter meiner EGW im Verzug. Da das Jahr noch relativ neu ist, konnte noch nicht so viel passieren. Gestern (18.01.2023) kam der finale Punkt, der scheinbar etwas mit mir gemacht hat. Da ich die Steuern für einige Jahre nicht bezahlt habe, schulde ich dem FA 2,5tsd€. Gestern kam die Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Ich gucke auf mein Konto, 0 € verfügbar. Mein Herz ist mir in die Hose gerutscht. Ich weiß, ich bin so schon komplett am Arsch und dann auch noch sowas.
Lichtblick: Ich habe nach 5/6 Jahren endlich meiner Mama von der Sucht erzählt und das ich komplett pleite bin. Sie hat es unerwarteterweise ruhig aufgenommen und mich gefragt, was passiert ist und wie man so dumm sein kann. Am Ende versteht sie sowieso nicht, dass man online auf alles mögliche wetten kann (an dem Punkt, nie Casino, halt esports, normaler Sport, tennis, aus Langeweile eigentlich auf alles). Ist auch egal. Ich habe hier schon viel gelesen und weiß, dass man kein Geld annehmen soll, da das die Sache nicht besser macht. Schlussendlich hat Sie die Steuerschulden heute für mich beglichen, damit mein Konto wieder freigeschaltet wird.

Dieses Gefühl, dass ich gestern hatte, das war (ich weiß, das bedeutet nichts) für mich komplett neu. Ich habe selten Bargeld und zahle immer mit Karte. So sitze ich hier heute mit 0 €, kann mir kein Essen kaufen und habe noch paar Scheiben Brot, Kartoffeln, Wurst und 2 Eier. Egal. Dieses Gefühl hat in mir etwas ausgelöst, dass mir sagt, dass das vielleicht der Punkt ist, an dem sich alles ändert. Ich habe meine Mama nie nach einem Cent gefragt, nachdem ich mit der Ausbildung fertig war. Heute verdiene ich doppelt so viel wie sie als Krankenschwester mit 100% Nachtschicht und muss sie anflehen, mir die Steuern zu bezahlen. Das hat gesessen. Das tut wirklich weh. Wie zur Hölle konnte ich nur so geisteskrank sein und es so weit bringen?!

Ich habe heute ungefähr 57tsd€ Schulden und da ist die Miete etc. nicht enthalten. Seit gestern denke ich nicht mehr an Wetten (ich weiß ich weiß). Zum Glück gibt es im Februar diese steuerfreie Zahlung, sodass ich auf einen Hieb um die 5tsd€ netto bekomme und wenigstens die wichtigsten Sachen bezahle. Ich werde davon keinen Cent mehr für die scheiß Wetterei ausgeben. Sicherheitshalber werde ich meiner Mama die Vollmacht über mein Konto geben, sodass ich auch bloß nicht mehr auf dumme Gedanken kommen kann. Ich bete für mich selber, dass das ein Ende hat.

Entschuldigt den langen Text. Ich werde versuchen so oft es geht zu posten.

LG

Olli:
Hi und willkommen R.!

Entschuldige Dich nicht für den Text. Hat es Dir gut getan, das mal alles nieder zu schreiben? Na denn ... dann hat der Text seine Berechtigung.

Du hast Dich hier belesen ... was denkst Du, was da in Deinem Text noch fehlt? Nicht, dass Du da Erwartungen erfüllen müsstest, es geht dabei alleine um Dein Seelenheil. Deine Wut und Deine Enttäuschung werden nicht lange anhalten. Denn wenn Du 57k Schulden hast, dann findest Du auch irgendwo eine Bank, die Dir noch was oben drauf legt. Du hast ja jetzt eine neue Arbeit und damit bei Deinem Gehalt auch ein gewisses Maß an Scicherheiten. Dann hast Du für 1 oder 2 Jahre wieder Geld auf dem Konto.

Du hast nun einen Hauch der Erfahrung gemacht, dass Du Dir nichts zu Essen kaufen kannst. Zudem steht die Wohnung auf der Kippe. Kannst Du Dir auch ausmalen, wie Du aus solch einer Not heraus kriminell wirst? Was macht dieser Gedanke mit Dir?
Wenn Du nun meinst: "Ich? Niemals!", dann hast Du Deine Situation noch nicht verinnerlicht. Wenn da aber ein Funken Angst in Dir aufkeimt, dann weisst Du, was nun zu tun ist.

In Frankfurt gibt es eine Menge SHGs.

Mr. Nobody:
HI Olli,

danke für deine tollen Worte.
Es fühlt sich sehr gut an, diesen Text verfasst zu haben. Kann ich nicht anders sagen.

Da hast du ebenfalls Recht. In erster Linie geht es um mein Seelenheil. Dieses krankhafte aufs Handy starren und während der Arbeit immer gucken. Einfach schlimm.
Dieser Gedanke, beinahe ohne Essen dazustehen ist nicht lustig. Ich glaube, das hat mir gestern ein Stück weit die Augen geöffnet.

Ganz ehrlich, zur Kriminalität kann ich wirklich ruhigen Gewissens nein sagen. Egal, wie weit ich am Ende bin, darüber habe ich noch nie nachgedacht und werde es auch nicht.

Habe ich vor. Ich werde mir auf jeden Fall eine SHG suchen, wenn dann richtig.

Beste Grüße
R

andreasg:
Herzlich Willkommen, R,

Dalke auch von mir, für Deine Lebensgeschichte. Was mir zusagt ist, nicht das verlorene Geld alleine macht Sorgen und Kummer, sondern primär das Lebensgefühl.

Ich spreche nicht gerne von Geisteskrankheit, wenn ich mir meine Spielsucht ansehe - ich bin da eben nur anders, also verrückt!

Und das heißt für mich, einen anderen Weg zu gehen, als jemand, der keine Konflikte damit hat, Spieleinsätze zu tätigen.


Beachtlich finde ich Deinen Bezug zu Deinen Wohnungen eigenes Haus, Eigentumswohnung, 1 Zimmer - Wohnung. Die Realität verkriecht sich immer weiter.

Das wichtigste ist, Beziehungen zu klären, und wenn gegeben, Wiedergutmachung zu leisten. - Auch ich habe Geld meiner Mutter verspielt, und ich bin Dankbar, es soweit wie möglich zurück gezaht zu haben, ferner noch für meine Mutter da zu sein, als sie Pflege brauchte, und ins Heim mußte.

Ich wohne seit 20 Jahren in einer 1 Zimmer - Wognung, und es geht mir damit gut. Aber, das ist meine Geschichte, ich schreibe manchmal meine Gedanken hier ins Tagebuxh, mögen sie auch verwirrt sein. Wenn ich sie niederschreibe, werde ich oft im Kopf klarer. Eine herzlich Einladung auch an Dich, Tagebuch zu führen.

Schöne 24 Stunden
Andreas

Mr. Nobody:
Hi Andreas,
danke auch dir für deinen Beitrag.

Ich meine, wem will ich etwas erzählen. Das schlimme ist gestern aufgetreten und heute erzähle ich hier groß etwas.

Trotzdem hoffe ich, dass es etwas in mir bewirkt hat. Ich war die letzte Zeit so am Boden zerstört, egal welches Geld ich hatte, ich habe es immer verspielt. Nachdem, was meine Mutter für mich getan hat, ist mir das verlorene Geld schlagartig egal geworden. Ich möchte ihr das Geld einfach nur schnellstmöglich zurückzahlen. Und wie Olli schon sagte, geht es um das Seelenheil. Ich konnte es vor allen immer verbergen, aber innerlich bin ich ziemlich kaputt. Existenzängste, dieser tägliche Drang zu spielen. Ich will das nicht mehr. Ich möchte das Tagebuch auf jeden Fall führen, vielleicht nicht jeden Tag, aber auf jeden Fall relativ oft. Und ich gucke auch in deins rein.

Beste Grüße
R

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite