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Tagebuch Rubbel

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Rubbel:
Diesmal werde ich nicht angequatscht in der Bahn – und am Freitag kommt meine Tochter zurück. Bestimmt strahlt sie ganz entspannt. Fast 5 Wochen war sie weg, und ich sehe schon ihre großen, schönen blauen Augen vor mir … das baut mich auf. Sie wird definitiv nach der 2. OP da sein und mir viel erzählen können. Rauchen sollte ich sehr viel weniger dann zu Hause, sie kann das gar nicht leiden. Ich freue mich, dass sie ihr Leben genießt, einen gut dotieren Job und eine ganze Menge Bekannter und/oder Freunde hat und in dieser Firma jetzt sogar von Kroatien aus arbeiten konnte. Sogar ein Deutschlandticket wird demnächst von ihrem Arbeitgeber bezahlt für alle Angestellten. Jung, dynamisch – sie passt prima da hinein.

Mein kleiner Koffer und der Rucksack sind schnell gepackt. Ich bin unruhig, gucke ins Spielsuchtforum, schreibe was, telefoniere, erzähle und finde kein Ende. Schlafen kann ich nicht wirklich, stehe um 4.20 Uhr auf. In mir sträubt sich alles. Ich esse einfach eine halbe Banane, das geht ja wohl, ich glaub, 20 Minuten, dann ist die verdaut. Muss ich ja nicht sagen nachher, und trinke schwarzen Kaffee, der mir gar nicht schmeckt, aber mit Milch bin ich dann doch vorsichtig. Ich will nicht ‚gehorchen‘, ich will eigentlich, dass ich aufwache aus diesem Alptraum.

Um kurz vor 6.00 Uhr bin ich wieder zur Stelle auf Station 19. Auf dem Weg habe ich ‚gedampft‘ – ist ja wohl auch nicht so wild! Schwester ‚B‘ ist fitter als ‚A‘. Ich bekomme auch die Egal-Tablette, auch ein Zimmer hab ich schon: kein Müllsack für meine Kleidung also. Wieder das Bett am Fenster, gleicher Grund: Noch ist die Zweitbesetzung des Zimmers nicht da. Ein kleiner Luxus – ich nehme ihn an. Alles sonst läuft wie beim ersten Mal, außer dass die Anästhesie nicht so witzig ist. Außerdem bin ich nun die Erste auf der OP-Liste, die eigentliche Nummer 1 ist nicht operationsfähig.
Ab der Sauerstoffmaske bin ich schnell wieder weg. Die LmaA-Tablette hat mich etwas gedämpft, aber sooo egal war mir davon nichts. Die grünen Männchen nicht, die blauen von der Anästhesie auch nicht. Ich komme schneller auf die Station als vorher, die Atmung ist besser: Kein Atemübungsgerät, kein Sauerstoff. Alles gut. Als ich aufwache, bin ich nicht so fitt wie beim ersten Mal, eher kreislaufschwach … ich nehme mir die Zeit, schlafe immer wieder, esse irgendwann, schlafe … so vergeht die Zeit auch.

Wohl Stunden später geht die Tür auf, und ein neues Bett samt Patientin wird ins Zimmer und neben mein Bett geschoben. Sie ist noch schläfrig und stellt einen zu einem Drittel gefüllten Urinbecher auf die Nachttischablage. Nein, kein Urin ist darin, sondern so was wie dunkelgrauer Schotter und ein größerer Kieselstein. Später erzählt sie mir, dass sie Gallensteine hatte. Sie hatte unaushaltbare Schmerzen, und niemand hat die Steine gesehen, auch im Bundeswehrkrankenhaus nicht … bis zum MRT, und dann war sie schon Notfall, weil sie quittegelb war, die Augen, die Haut … und nicht mehr laufen konnte. (achja – meine Leber … die zweite Baustelle! Hiernach muss ich zum Hausarzt, auf jeden Fall.)

Wir sind sofort auf einer Wellenlänge, sofort. Sie ist Griechin, 40 Jahre alt, eine ganz rebellische, kennt sich super in der aktuellen Szene aus, hat schon mehrere Clubs mitgeplant, war Teilhaberin und hat auch gekellnert. Mitten aus dem Leben also. Ein Geschenk! Leider kommt sie vor Schmerzen kaum aus dem Bett in den Stand – ich aber so langsam. Ich geh raus in den Hof, freue mich über ‚meine Neue‘.
Als ich wieder hochfahre, steht vor mir im Fahrstuhl ein großer, breiter Mann. Er trägt ein dunkelblaues T-Shirt, auf dem hinten steht:‘Sport mit Herz, nicht mit Kommerz‘. Verblüfft denke ich ans Spielsuchtforum, an die wettsüchtigen Menschen, an meine eigene Spielsucht, die hoffentlich nie wieder in Aktion tritt. Wüsste ich nicht jeden Moment, wo ich bin, wäre fast alles ‚normal‘.

6. Etage, ich geh durch die Glastür auf die ‚19‘. Jemand ruft meinen Namen, freut sich wie ein Kullerkeks und rennt mir mit aufgerissenen Armen entgegen: Tim! Er sagt mir voller Stolz, dass die OP nun vorbei ist, zieht mitten im Flur seine Jogginghose runter und zeigt mir seine Oberschenkel. Sie sind sehr rot und die Haut sehr schuppig – war ja auch das Transplantat für seine auch jetzt wieder dick eingepackten Unterarme. Eine Schwester sieht das, guckt kurz wie paralysiert, schüttelt den Kopf: ‚tse-tse-tse‘. Ich freue mich für ihn und – dann fällt mir ein: Ich hab noch nicht mal mein Gesicht abgetastet oder in den Spiegel geguckt. ‚Wir seh’n uns‘ verabreden wir, und ich geh‘ auf mein Zimmer. Meine ‚Neue‘ schläft. Ich steck mir Kopfhörer ins Ohr höre ‚Disturbed‘ – ‚Metallica‘ – ‚Alice Cooper‘ – ‚Lenny Kravitz‘ und auch was zum Lachen: ‚Böse‘ von ‚Knorkator‘. Passt alles. Abgetastet habe ich die Nase, das tut allerdings weh – gucken kann ich später noch.

Nachdem meiner Bettnachbarin keine Schmerztablette und kein Tee und nichts geholfen hat und sie schon in eine Mülltüte erbrochen hat, richtet sie sich doch peu à peu auf – wir sprechen über eigentlich alles, tauschen Telefonnummern und sagen uns: ‚Wenn wir wieder gesund sind, müssen wir uns unbedingt treffen!‘

Der Blick in den Spiegel: Naja, dick verpflastert eben, war ja eigentlich auch nicht anders zu erwarten. Am Mittwochvormittag ist große Visite für mich, und ich höre: ‚Sie können morgen wieder gehen, es war ja nicht viel, was wir reseziert haben, und das ist jetzt wieder in der Histologie. Wir haben schon nach einem möglichen neuen Termin geguckt: Ist Ihnen nächste Woche Freitag recht? Das würde gut passen. Mittwoch, 05.07. ist dann erneute Vorbereitung in der Ambulanz um 8.00 Uhr, Sie wissen ja, Labor, EKG, Anästhesie. Freitag 07.07. wieder um 6.00 Uhr auf der Station.‘
Ich bekomme duschfeste Pflaster aufgeklebt, die sind leider ziemlich transparent, so dass ich fast alles sehe da hindurch. Die nachgeschnittene Seite blutet nach und … ach, egal. Es geht nur um eins: Die zweite Etappe ist genommen.

Große Verabschiedung im Zimmer am Tag darauf. Tim liegt auf seinem Bett und dämmert vor sich hin. Ich streichle sein Gesicht und sage: ‚Ich gehe wieder, schlaf Dich gesund.‘
Und dann raus, raus hier, bloß raus, nach Hause! Der Arztbrief ist fertig! Nanu? Sehr gut!
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Mittwoch, also heute, ist die Vorbereitung erledigt, und ich auch. Purer Stress.

Freitagessen:
Irgendwie wollte ich schon, kam aber nicht dazu, also dir zu antworten liebe Rubel.

Dann erst mal das wichtige und dann das wesentliche.
Eine Einladung nach Berlin habe ich bekommen und ja, ich würde mich auch freuen dich dort kennenzulernen.
Zu dem wesentlichen, wie geht es dir gesundheitlich?

Und übrigens, deine letzten Beiträge (ab Episode 1) manche habe ich auch öfters durchgelesen ... na gut ich glaube ALLE mindestens 2 x  ;D - fand ich echt richtig richtig gut geschrieben..
Mir gefiel besonders deine mehrfache Erwähnung von den Plus Knabe ... "köstlich"   aber alles andere natürlich auch ;D

Bis dahin ... Mann liest dich

Rubbel:
Liebe(s)r Freitagessen :)
Vielen lieben Dank für Deine Nachricht!
1. Ja, klasse! Ich freue mich voll :)
2. Momentan geht's mir gut, und ich hoffe, auch die nächste Woche wird angenehm soweit.

Und übrigens: Danke! Das freut mich natürlich total!!
Ganz viele Grüße!
R

Einen ausschleichenden Schlusstext häng' ich dennoch an.

Rubbel:
Episode 4 = Epilog:

In der Nacht zum 6. Juli 2023 tauche ich meinen Kopf mehrfach tief in die Kloschüssel ein – und mir ist klar: Das ist Stress! Jetzt hab‘ ich wieder alle Vorkehrungen dafür unternommen, den Stress der 3. OP zu gewährleisten, fortzuführen ... emotional gesehen wider Willen. Natürlich weiß ich, dass diese dritte Operation nötig ist und es keine andere Option gibt – also vielleicht nicht wirklich Stress, eher dieses Dilemma.

Den Donnerstag über mache ich von Nichts bis Blödsinn, weil ich irgendwie kraftlos bin, mental, psychisch, körperlich hangle ich mich bis nachts durch, schlafe zirka 3 Stunden, und:

‚Los geht’s!, und diesmal auch wieder mit verbotener Banane am Freitagmorgen und schwarzem Kaffee - und Pfefferminz und ½ Zigarette zum morgendlichen Frühstück und dem ‚Dampfgerät‘ auf den jeweiligen Fußwegen zum Gebäude der Barmherzigkeit in den 6. Stock auf die Station 19.
Aber: Die Station 19 ist voll, ich muss auf die 18.

Also in meinem Kopf ist das die ‚falsche‘ Station, und Schwester C? … Schwester ‚A‘ ist Schwester ‚C‘, und sie führt mich ins Patientenzimmer 13. Ich bin nicht abergläubisch, und doch fühlt sich das weniger, ganz wenig ‚gut‘ an.
A/C: ‚Ach, Frau X, das ist ja wie ein ‚Déjà-vu‘. ‚Ja‘, lächle ich matt. ‚Na, Sie wissen ja, wie’s läuft: Ihre Sachen für den OP sind hier … wir sehen uns nachher.
‚Moment! Ich hätte gerne meine Beruhigungstablette, ich weiß, der Anästhesist hat sie aufgeschrieben!‘ Aufgeregtes Blättern in der Akte, die Blicke sind Pfeile.
‚Ja, Frau X, aber dafür haben wir gar keine Zeit. Dann muss jemand Sie begleiten, und ich kann keine Kollegin dafür abstellen!‘ Raus ist sie. Und kommt auch nicht wieder … und ein Mann im weißen Poloshirt und dunkler Hose steht da und sagt: ‚Frau X? Guten Tag. Ich fahre Sie jetzt in den OP‘.

Ich: ‚Moooment! ich möchte erst mal die LmaA-Tablette.‘
Das ist ja Mehrfach-Beschiss:
Es gibt keine nette Schwester C, zur 3. OP am Freitag das Zimmer 13, die Transporter sind nicht mehr grün und wieder keine LmaA? Nö-nö!
Wortlos geht er raus und kommt mit A/C zurück, sie gibt mir die Tablette mit einem Schlückchen Wasser; der Typ schiebt elegant mein Bett gen Fahrstuhl, wir sind in Begleitung von A/C. Übergabe im Vorraum der Anästhesie.

Alles danach läuft ab wie erfahren. Aufgewacht, sickert langsam der ein oder andere Gedanke ins Hirn und bringt mir Erkenntnisse: 1.: Pflegenotstand, stimmt ja! 2.: Ich will die 3 Tage hier keine weiteren, neuen Kontakte knüpfen, sondern meine Ruhe. Nur wenig, soviel wie nötig, quatschen über Belangloses und ‚Tschüss‘. Doch diesmal, so die Ärztin, soll es 6 statt 3 Tage Aufenthalt geben.

Ich halte mich an Distanz zu Anderen, leider reichte es dennoch zwei miteinander wohl bereits gut bekannten Männern, immer wieder sexistische Witze oder zweideutige Sprüche vom Stapel zu lassen. Wenn ich sauer wurde, hab‘ ich mich – denke ich – in dem Gefecht ganz gut geschlagen. Angenehm ist was anderes, nötig war der Mist schon gar nicht. Dafür gibt’s jetzt oft Musik auf die Ohren. Meine Mitbewohnerin ist 90 Jahre alt. Es macht ihr nichts aus, dass ich wenig spreche. Da steht sie ganz gelassen drüber.

Oberarztvisite am Dienstag. Die Oberärztin schneidet einen Teil des Verbandes auf und ist mit ihrem Machwerk überaus zufrieden, die Assistenzärztin freut sich auch, und die PJ-ler gucken hoch interessiert. Ich kann das vor dem Spiegel gar nicht nachvollziehen, aber das erfahrene Personal kennt den Verlauf vielleicht schon durch Erfahrung!? Kurz: Mittwoch, den 12. Juli kann ich doch schon raus.

Das ist die erfreulichste Routine in diesem Zusammenhang, das Packen, es passiert in Windeseile, und der innerhalb von 20 Minuten fertiggestellte Arztbrief rundet alles wohlig ab. Die Nase ist frisch verklebt, aber ich ja auch schnell zu Hause.

Einmal pro Woche muss ich ab sofort in die Ambulanz zur Untersuchung, Verlaufsbeobach-tung und letztlich dann Fädenziehen. Und für mich in der Hoffnung, dass sich die Nasenflügel wieder angleichen.
Sonst gehe ich in ein Ghetto – -- ‚Zeit in petto‘, das Gedicht weiter oben, hab‘ ich nach der Melodie von ‚in the ghetto‘ schon mal parat. Aber ich bin zuversichtlich, eigentlich.

Rubbel:
Rückenwind
(Elpis)

- verloren
in deinen armen
hebst du mich auf
mit deinem blick
einem augenkuss
-----------------------
und hand in hand
führen wir uns
wieder gegenseitig
heim - oder
an der nase herum

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