Oktober 2009 kam er durch eine Heirat mit mir nach Deutschland. Innerhalb einer Woche bekam er einen Platz bei einem Integrationskurs, bei dem er einen Landsmann kennenlernte, durch den er erste soziale Kontakte hier knüpfte. So kam es das die beiden in einem Bistro andere Menschen trafen, die größtenteils dieselbe Sprache sprechen. Dort standen die ersten Glücksspielautomaten. Der Ladenbesitzer saß selbst sehr gerne davor und hat nach Ladenschluss oft einfach abgeschlossen und die Vorhänge zugezogen und so konnte man bis in die Nacht herein spielen. Er fühlte sich wohl dort. Die ersten Vertröstungen kamen, Zusagen bald nach Hause zu kommen hielt er nicht ein. Sein Telefon machte er oft aus. Bis ich irgendwann vor dem Laden stand und ihn drin gesehen hab, trotz der zugezogenen Vorhänge.
Er fand rasch Arbeit, der Kurs war im April zu Ende, übergangslos wurde er bei einer Zeitarbeitsfirma eingestellt – und nahm den ersten Vorschuss, der dann am Ende des Monats zum Leben fehlte. Rechnungen wurden aufgeschoben. Zu dem Zeitpunkt war ich aufgrund minderjähriger Kinder im Haushalt Leistungsaufstockerin. Es war ein nicht endender Rattenschwanz. Jeden Monat. Er bediente sich auch am gemeinsamen Konto. Jeden Monat wurde hinten aufgerissen, vorne gestopft. Geld geliehen, Geld mir aus dem Portemonnaie entwendet, aus der Börse meiner Arbeit (ich fuhr Medikamente aus und musste vor Ort kassieren). Es gab im gemeinsamen Bekanntenkreis keine Person, die nicht beliehen wurde. Ich konnte mir erst Jahre später denken, wieso Kontakte abbrachen. Er erzählte immer ich sei schuld das er sich Geld leihen muss, ich sei Kaufsüchtig. Ich kaufte auf Pump, konnte dann nicht zahlen. Manchmal tröstete ich mich mit Käufen oder wollte auch die Kinder in Sicherheit wiegen, das alles in Ordnung ist, ihnen sollte es an nichts fehlen. So wuchsen auch Schulden weiter. Ich hatte mich 2007 von einem Partner getrennt, komplett neu angefangen, war schuldenfrei…
Es gab viel Streit zu Hause, hauptsächlich weil er viel weg war und auch nie zuverlässig war was das nach Hause kommen betrifft. Das sei seine Kultur. Aber es gab auch Streit wegen Geldsorgen und weil ich mitbekam das er mittlerweile Spielhallen aufsucht. Das Bistro war schon eine Weile geschlossen.
16 Jahre geht das nun schon so. Er hat sich auf einiges eingelassen, damit er seine Familie nicht verliert. 2012 wurde seine Tochter geboren. Therapien wurden abgebrochen, stationärer Aufenthalt in einer Klinik vorzeitig beendet. Immer wieder Rückfälle, Beteuerungen, Kompromisse, kurzzeitige gute Momente. Nur in der Coronazeit war er ein Jahr wieder der Alte, ein Jahr kein Streit, Harmonie, Liebe. So wie ich es mir gewünscht hatte. Unfassbar. Diesen Mann sehne ich mir zurück, nachdem er wieder anfing zu spielen. Immer wieder jagt eine Hoffnung die Nächste und er hat es immer wieder geschafft mir einzureden, wenn ich nur besser mit dem Geld haushalten könnte und nicht so viel shoppen würde, dann ja dann würde er auch nicht spielen, dann wäre alles besser.
Es wurde nie besser. Ich habe eine Schuldnerberatung aufgesucht, bearbeite diese Kaufschulden. Trotz dieser Spielsucht die Löcher frisst. Mittlerweile verdienen wir gleich viel, arbeiten für denselben Träger aber in unterschiedlichen Einrichtungen.
Es gab so viele Verletzungen, Vertrauensbrüche, Lügen, 16 Jahre habe ich durchgehalten. Am 24.01.2025 wollte ich nicht mehr. Mir war klar, dass es nur den einen oder anderen Weg gibt. Es hat mir weh getan das er sich für den Weg der Sucht entschied und ich keine andere Wahl hatte.
Ich habe Angst. Ich habe zwischendurch Zweifel. Wut und Schmerz und ganz viel Trauer. Aber ich muss durchhalten.
Spielsucht ist nicht eine rein finanzielle Sorge, die man hat – damit allein würde man schon irgendwie leben können. Es ist vielmehr das, was die Sucht in einer Beziehung anrichtet. Ich habe meinem Mann mal gesagt das er all seine Freude, gute Laune, Lebenswerte Dinge usw. draußen erlebt und hier in seinem Zuhause, dort wo sein Hafen ist, nur schlechtes dalässt. Er war in den letzten Jahren kaum mehr fähig zu emotionaler Nähe und erwartete körperliche, die ich ihm kaum mehr geben konnte, auch aufgrund all der Verletzungen.
Er war nicht mehr fähig sich zu kümmern um alles, was zu Hause so anfiel. Ich war diejenige die alles gemacht hat, Haushalt, Kind, schwerem Einkaufe ran karren, Dinge wie Dachboden entrümpeln (wir haben es immerhin geschafft zu sortieren) liegen seit Monaten unerledigt, Rechnungen begleichen, Post, schulische Dinge unserer Tochter, usw.
Er hat zu Hause nur ferngesehen oder geschlafen. Wenn wir etwas unternommen haben, dann ging das immer von mir aus. Paar Zeit – hatten wir so gut wie nie.
Ich muss erwähnen das ich chronisch krank bin, ich habe Probleme mit meinen Venen, muss Medikamente nehmen, Physio machen zweimal die Woche mindestens und werde von der Krankheit auch oft ausgebremst und kann manche Haushaltsdinge nur schwer erledigen oder sehr langsam.
Schuld bin ich an allem - daran das wir kaum mehr Sex hatten, dass ich immer Streite, dass wir Schulden haben, alles, was zu Hause nicht gut lief. Ich habe ihm immer gesagt das er sich mir gegenüber verhält, als wäre ich sein Feind. Nicht seine Ehefrau die er liebt. Er hat sich bemüht hier und da ich liebe dich zu sagen oder das ich seine grosse Liebe – seine erste Liebe bin und seine letzte. Aber er konnte es nicht so leben wie ich es verdient hätte.
Trotzdem hat er sich bemüht, hat mir Dinge im Haushalt abgenommen die mir schwer vielen (wie mal wischen, saugen, usw.) – aber nur sporadisch. Schlechtes Gewissen beruhigen.
Er war so negativ mir gegenüber eingestellt zum Schluss – ich war ja auch unbequem, wenn ich immer wieder rumgenörgelt habe. Er hat nicht verstanden das ich nicht mehr Vertrauen kann nach all den Lügen und wenn er raus geht hier und da mal ein beruhigendes Wort gebraucht hätte, wenn er wirklich bei Freunden war. Das es nicht darum geht ihm das Ausgehen nicht zu gönnen, sondern das ich in 17 Jahren Beziehung einen Radar habe, an seiner Stimme höre, an seiner Stimmung merke, an den Hintergrundgeräuschen am Telefon höre, wo er ist. Ich nehme Gerüche wahr, ob er mich am Telefon versucht abzuwimmeln oder wenn er eine seiner Lügen Konstrukte baut.
Eine Zeitlang haben wir versucht mein Vertrauen aufzubauen in dem wir „wo ist“ am Telefon eingeschaltet haben…natürlich hat er es immer dann ausgemacht, wenn er in der Spielhalle war, dann – wenn ich daraufhin gemeckert habe – war O-Ton „also jetzt müsstest du mir doch mal langsam vertrauen, ich fühle mich beobachtet, ich bin ein Mann, ich brauche meine Freiheit“ – die er aber prima gelebt hat, wenn er überall anders war, da war „wo ist“ kein Problem. Da hat er freiwillig Standorte und Fotos gesendet damit ich glaube und vertraue – schön aufgebaut für den nächsten Spielhallenbesuch.
Ich kenne alle Taktiken, Tricks, Lügengeschichten, Verhaltensmuster. Dazu brauche ich kein „wo ist“, was er mir in all den Zeiten, in denen ich gesagt habe, ich kann nicht mehr angeboten hat und noch viel mehr. Ich konnte immer noch, ich hätte weitergekonnt, aber ich will nicht mehr.
Ich will nicht mehr sein Konto verwalten und ihm sein Geld einteilen, weil ich Angst haben muss jeden Monat die Miete nicht zahlen zu können. Ich soll das machen, wenn er seine „ich höre auf“ Phase hat und kriege es im Streit vorgeworfen das er keine Freiheiten hat.
Diese hin und her f*…t meinen Kopf, mein Leben, mich.
Es schmerzt. Wir haben so viel erlebt zusammen, aber auch so viel Tränen, die geflossen sind. Ich habe ihm mal gesagt das ich mehr in der Beziehung geweint habe als das ich wirklich glücklich sein konnte.
17 Jahre. Harte kämpfe, um überhaupt hier zusammen leben zu können.
Probleme in der Beziehung die man unter normalen Umständen in den Griff bekommen hätte. Eigentlich hatten wir keine. Die Sucht hat all dies losgetreten, eine Verkettung von allem.
Ich weiß gar nicht mehr, wie er war als er noch nicht gefangen war in dieser Sucht. Ich hab’s vergessen, außer dass er voller Liebe für mich war und dies vor allem noch zeigen konnte.
Das das nicht mehr geht sagt er, liegt an mir. Weil ich so viel kaputt gemacht habe. Ich bin alles schuld. Ich habe sein Leben kaputt gemacht.
NEIN. Nein das hast du ganz alleine geschafft. Und alle Geldsorgen bin nicht ich schuld.
Jetzt hatte ich dir gesagt das ich nicht die Trennung will, weil ich ihn nicht mehr liebe, sondern weil ich nicht mehr kann. Das es mir mein Herz zerreißt, aber er sich entscheiden muss. Er macht eine Therapie oder er verliert uns. Es war mir klar, dass das nicht funktioniert ihn sowas entscheiden zu lassen. Selbst wenn er Therapie gesagt hätte (was er ja schon so oft tat) hätte er es nicht gemacht. Weil er noch lange nicht an diesem Punkt ist.
17 Jahre. Ich habe alles durch. Und am Ende ist das Einzige, was uns wirklich hilft – eine Trennung.
Um mich zu retten. Er kann sich nur selber retten. Glaubt mir – ich habe nichts in 17 Jahren unversucht gelassen. Alles, was ich letztendlich damit gemacht habe, war seine Sucht zu stabilisieren. Nichts anderes macht man im Endeffekt.
Und es ist nicht Eure schuld! Niemals. Der Süchtige trägt seine Verantwortung selber für sein Handeln und Tun.
Ich habe auch geschrien, geweint, gemotzt, beleidigt, so meine Hilflosigkeit, meine Trauer rausgelassen. Seinen Best Buddy verantwortlich gemacht der mit ihm spielen gegangen ist.
All das wird mir vorgeworfen. Ich bin schuld, weil ich so und so bin, das und das gemacht habe. Schuld an allem – so er.
NEIN. Nein bin ich nicht. Wenn überhaupt dann ist die Sucht schuld und für die trägt ER die Verantwortung nicht ich.
Danke fürs Lesen