Guten Morgen Kata!
Es ist nun einige Jahrzehnte her, als ich noch bei meinen Eltern wohnte. Sie hatten schon einiges mit mir durchgemacht. Ich hatte mein eigenes kleines Zimmer und dort lag ich nun auf meinem Bett und schaute fern. Mein Vater war selbstständig als Fliesenleger und hier und da wurde auch an den Büchern vorbei Geld gemacht. Vor meinem Zimmer, im Flur des OG, führte die Bodeneinschubtreppe auf den Kriechspeicher. Hier lagerten nicht nur die Karnevalsklamotten und der Schmuck für Ostern und Weihnachten. Auch die Reservefliesen für dieses Haus lagerten hier. Im Laufe der Zeit gesellten sich auch Fliesenaltertümchen hinzu, die er noch bei Kunden fand. Diese konnte er dann bei Kunden einsetzen, bei denen nur ein paar wenige Fliesen ausgewechselt werden sollten. Heute gibt es Firmen, die alte Fliesen nachproduzieren, doch damals war das noch Zukunftsmusik.
Ich lag also auf meinem Bett und schaute fern. Ich hörte meinen Vater die knarzende Treppe hinaufkommen, sich im Elternschlafzimmer den Stab zum Öffnen der Bodeneinschuntreppe holen. Der Haken fand seine Öse und mit einem kräftigen Ruck erklang das dumpfe Geräusch, wenn die Treppe der Schwerkraft folgend nach unten schwang. Mein Vater klappte die Treppe aus und erklamm ein paar Stufen. Direkt oben am Rande der Öffnung wurden Fliesen hin und her geschoben. Brauchte er etwa mal wieder eine dieser Reservefliesen? Er rief meine Mutter und sie tuschelten erregt. Mir kam das spanisch vor und so stand ich auf und öffnete die Zimmertür. Was folgte, war ein Vorwurf, den ich auch nie habe entkräften konnte. Viele Jahre später noch wurde er mir entgegen geschleudert: "Hast Du das Geld vom Speicher genommen?" Es waren etwas mehr als 1.000 DM verschwunden, die er dort unter Fliesen versteckt hatte. Im Laufe der Jahre wuch der Betrag in der Erinnerung sogar noch und gipfelte irgendwann in über 2.000 €.
Nein, ich war es nicht, wusste ich doch noch nicht einmal etwas davon. Dieser Vorwurf traf mich tief und das, obwohl ich ja sonst auch nicht gerade ein Unschuldslamm war. Der vermeindlich Schuldige war gefunden, das "Urteil" ohne jedweden Zweifel gefallen.
Meine Eltern fuhren in Urlaub und ich blieb zuhause. Das Konto wieder am Anschlag zeichnete ich für einen Kollegen wieder einen Lageplan und erhielt dafür ein paar DM. Davon kaufte ich einen Wandsafe und baute ihn auch ein. Er tat nämlich weh, dieser Vorwurf und ich wollte nicht wieder in solch eine Situation kommen.
Ich weiss nicht, ob Dein Schwager schuldig ist oder auch nicht. Auch Du kennst nur die bereits längst gefällten Urteile und so ist es doch logisch, dass es auch hier nur einen Schuldigen geben kann?
Ganz ehrlich ... es wird sich nicht auflösen lassen. Es ist auch egal, was Deine Schwester dazu sagt oder auch nicht. Es ist ihr Leben und sie trifft ihre Entscheidungen für sich, genauso, wie Du für Dich. Und da sind wir auch an dem Punkt angelangt, an dem Du ansetzen kannst.
Gerade in Deiner letzten Antwort ist der Schmerz zu lesen, den Du verspürst. Der potentielle Vertrauensbruch und der Diebstahl des Geldes Deiner Kinder hat seine Spuren bei Dir hinterlassen.
Nun kannst Du sagen: Mit dem Kerl will ich nichts mehr zu tun haben, der kommt mir weder ins Haus, noch werde ich jemals wieder bei ihm aufschlagen. Das Erste geht ja gerade noch, doch beim zweiten Vorschlag wirst Du auch den Kontakt zu Deiner Schwester reduzieren, wenn nicht sogar einstellen müssen.
Ohne jetzt mehr über sie zu wissen ... sie ist 20 Jahre bei ihm geblieben, trotz der Höhen und Tiefen, auch nun nach dem Outing. Die hat somit ihr Päckchen zu tragen und ist sicherlich auch in Gewohnheiten und Ängsten gefangen. Zweifel bestimmen derzeit ihr Leben. Was soll sie nur tun? Wie soll sie reagieren? Was wird aus ihr? Den Kindern? Ängste, meine Liebe, haben nun mal die Eigenschaft zu katastrophisieren.
Könnte ein Rückzug Deiner Person sie vielleicht bei einer "gewagten" Entscheidung helfen?
Wenn Du dazu bereit bist, dann spreche mit ihr darüber. Zeige ihr, dass Du für sie da bist, aber zeige ihr auch, dass Deine Grenzen überschritten sind.