Glücksspielsucht > Glücksspielsucht Allgemein

Ich bin ganz ganz unten

<< < (3/4) > >>

Roy1234:
Mein Fokus liegt nicht auf der Sucht als Krankheit –
sondern auf dem inneren Anteil, der immer wieder Ausreden sucht, sich’s bequem macht, Verantwortung abgibt.

Der sagt: „Morgen fang ich an.“
Der sagt: „So schlimm ist es nicht.“
Der sagt: „Ich kann doch mal wieder probieren.“

Und dieser Teil – der ist gefährlich.

Nicht, weil er „süchtig“ ist – sondern weil er feige ist.

Aber das was Du hier schreibst ist die Krankheit.

OG-123:

--- Zitat ---Aber das was Du hier schreibst ist die Krankheit
--- Ende Zitat ---

Ich versteh, warum du das denkst – aber da liegt ein ganz grundlegender Denkfehler drin.
Denn was ich beschrieben habe, ist nicht die Glücksspielsucht selbst, sondern etwas ganz anderes.

Glücksspielsucht ist eine anerkannte Krankheit.
Sie verändert das Gehirn, vor allem das Belohnungssystem.
Es wird Dopamin ausgeschüttet – ähnlich wie bei harten Drogen – und das führt dazu, dass das Hirn auf Dauer neu „programmiert“ wird.
Man verliert die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, weil die Impulse automatisch ans Belohnungssystem gekoppelt sind.
Da redet man nicht von Faulheit, da redet man von einem echten neurologischen Hijack.
Ein Kontrollverlust, der nichts mehr mit Charakter oder Entscheidung zu tun hat.

Aber:
Das, worauf ich hinauswollte, ist ein ganz anderer innerer Anteil.
Der Teil, der nicht fremdgesteuert ist.
Der nicht unter Zwang steht.
Der einfach nur bequem ist.
Der weiß, was er tun müsste – es aber nicht tut.
Der aufschiebt, sich rausredet, Verantwortung abgibt, Ausreden findet.
Und der hinterher nicht leidet wie jemand im Suchtdruck – sondern sich einfach nur ein bisschen blöd vorkommt, weil er es wieder nicht gebacken gekriegt hat.

Das ist keine Krankheit. Das ist eine Charakterschwäche.

Und das ist wichtig zu unterscheiden.
Denn wenn man beginnt, solche menschlichen Schwächen als Teil der Sucht zu labeln,
dann macht man die Krankheit größer, als sie ist – und gleichzeitig jede Form von Verantwortung unsichtbar.

Ich sag das übrigens nicht aus Distanz. Ich war selbst glücksspielsüchtig.
Ich kenn den Kontrollverlust – und ich kenne auch diesen bequemen Anteil in mir,
der viel länger überlebt hat als die akute Suchtphase.

Und gerade deshalb weiß ich:
Die Sucht musste behandelt werden.
Aber der faule, feige Teil in mir – der brauchte keine Therapie.
Der brauchte Ehrlichkeit. Und Konsequenz.

Deshalb ist es ein bisschen zu kurz gedacht – oder sagen wir: ein bisschen ungenau – wenn du sagst, ich hätte „einfach die Krankheit beschrieben“.
Weil das, was ich beschreibe, auch in Menschen lebt, die nie süchtig waren –
aber trotzdem jeden Tag Dinge aufschieben, sich rausreden, sich selbst belügen.

Nicht alles, was nach Sucht aussieht, ist Sucht.
Und nicht alles, was unbequem zu hören ist, braucht eine Diagnose.
Manchmal reicht ein Spiegel.

Olli:
Au, au, au, au ...

SSSSSSCCCCHHHHHTTTTOOOOOPPPPPPP! :)

Das, was Du beschreibst, das ist alles Bestandteil der Sucht. Charaktereigenschaften sind unveränderlich! Im Grunde beschreibst Du das Vorurteil, dass Glücksspieler charakterschwach sind. Genau das Gegenteil ist aber zumeist der Fall.


--- Zitat ---Sie verändert das Gehirn, vor allem das Belohnungssystem.
--- Ende Zitat ---

Die Sucht verändert das Fühlen, das Denken und das Handeln. Diese drei sind untrennbar miteinander verwoben!
Wenn mein Belohnungssystem aktiviert werden will, dann fallen mir sofort unzählige Dinge ein, die ich mit Glücksspiel verbinde. Also richtet sich auch mein Handeln danach. Und wenn der süchtige Teil in mir denkt, dass es ja noch etwas Zeit hat mit dem Aufhören, dann ist das eine klare Ansage an die Weiterführung der Sucht. Ich denke, weil ich fühlen will. Ich handele, weil ich denke, Weil ich handele, fühle ich auch.

Wenn ich aber mein Denken verändere, weil ich mich z.B. wie oben beschrieben mit Glaubenssätzen und Affirmationen auseinander setze, wie: "Ich schaffe das nicht!" ... wenn ich mir andere Sichtweisen aneigne ... wenn ich einer höheren Macht meine Unzulänglichkeiten überlasse und vielen andere Alternativen folge, dann verändere ich mein Handeln und mein Fühlen ebenso.

Ich bin aber immer noch der selbe Mensch mit eigenen Werten, die ich in der Vergangenheit oftmals verleugnet habe, mich aber nun wieder daran halte. Da viele schädliche Erfahrungen aber in meinem Gehirn verankert sind und größtenteils auch mit "normalen" Dingen verwoben, kann ich das nicht abtöten. Das geht einfach nicht. Im Gegenteil muss ich achtsam sein, dass da nicht irgendwann längst verloren geglaubte Automatismen nicht wieder zum Leben erweckt werden.


--- Zitat ---Weil das, was ich beschreibe, auch in Menschen lebt, die nie süchtig waren –
aber trotzdem jeden Tag Dinge aufschieben, sich rausreden, sich selbst belügen.
--- Ende Zitat ---

Eieiei ... ja und nein! Wir leben in einer sozialen Gruppe/Gesellschaft, mit eigenen Werten und Normen. Dabei sind auch einige, die, genauer betrachtet, nicht so schön sind. Sie gehören aber zu uns und fördern auch einige Verhaltensweisen, die nicht so schön sind. Nicht so schönes Handeln - nicht so schönes Denken - nicht so schönes Fühlen (ggf. bei jemandem anderen). Also ja, wir gleichen uns in vielen Dingen - "zwangsläufig". Wieso handeln Angehörige ähnlich bis gleich wie ihre Glücksspieler? Weil es Zufall ist?
Nach Deiner Analogie müssten auch die Angehörigen charakterschwach sein? Auch sie prokrastinieren häufig! Sind sie auch charakterschwach? Sind sie es, weil ihr Spieler es ist? Ist Charakterschwäche ansteckend?

Nein, nein ... Du machst es Dir zu einfach. Das Gute an der Analogie ist aber, dass Du Abstand nimmst zu dem Teil, den Du da anprangerst. Da fahren wir wieder auf der selben Schiene.

Rubbel:
Hi OG...

verrätst Du die Dauer Deines spielsüchtigen Verhaltens und die Dauer Deiner Abstinenz bis heute?

Meinst Du, der Psychologe damals, der meinte, Deine Sucht wäre als Knackpunkt in Deiner Familie 'verankert', wollte Dir damit ein Schuldbewusstsein mitgeben? --- oder habt Ihr das noch mal 'bearbeitet'?
Das Christentum funktioniert genau auf diesen Überzeugungen. Himmel-Hölle, gut-schlecht, Schuld-Unschuld, Verdammnis-das Sitzen zur Rechten 'Gottes', Selbstlosigkeit-Selbstsucht ... und last but not least überfällige Rollenmuster Frau-Mann.
Gott als personifizierter 'Superman'. (einfachste Strukturen, einfach lebensfremd)

Sorry ... das kann echt schlimm in die Hose gehen. Und obwohl z.B. jemand die Bibel 'durchgekämmt' hat (Text auf fast jeder Seite markiert und/oder kommentiert hat!) und sich auch mit Philosophie, Anthropologie und allerlei psychologischen Ansätzen auseinandergesetzt hat, ist ihm nicht geholfen. Von allem kann frau/man lernen, ja, aber das Grundgefühl bleibt für den reinen Verstand verschlossen.
Ich möchte damit sagen: Pass' bitte auf Dich auf! Du hast hier Deinen 'Superman' als 'Kumpel' mit der Sucht ausgetauscht (glaubst Du!), was allerdings nicht gewährleistet, dass das so bleibt oder Deine Persönlichkeit verändert (hat).
Von dieser Spielsucht ist der Gewinngedanke, aber auch vieles Andere an Aspekten der Persönlichkeit maßgebend beeinflusst und/oder  auch beeinträchtigt.  Zum Beispiel die Form  der Geldbeschaffung. Die setzt Kreativität für das Aufrechterhalten des süchtigen Verhaltens voraus, eine gewisse Missachtung und einen Missbrauch anderer Menschen (und sie zu dominieren), den inneren Kampf zwischen Verstand und Psyche, die Flucht vor nicht aushaltbaren Situationen und ... eine Menge anderer Aspekte.
Der Mensch ist nicht 'statisch'. Eines fließt in das  Andere. Persönlichkeits-Klötzchen adé :)

Und - was verleitet Dich dazu, Deine 'manifesten' bzw. 'dominant anmutenden' Überzeugungen als für jeden Menschen (hier) gleichsam gültig zu beschreiben? Für mich sind es Beziehungs'schäden' aus früher Zeit, die 'überspielt' werden, weil sie nicht/kaum aushaltbar sind.
Ich habe noch mal alles gelesen, was Du so schriebst, und vor meinem inneren Auge ist für Dich vielleicht jeder Mensch ein Setzbaukasten und die Einzelteile auswechselbar und so, wie sie Deine Ansichten unterstützen. Das böte sich als 'Modell' an, ich bin im Laufe des Lebens der Überzeugung, dass alles viel komplizierter ist und auch verstrickt - und das jeder Mensch die Aufgabe annehmen sollte, sich selbst soweit zu 'erkunden', um die Möglichkeit zu lernen und wahrzunehmen, unter Annahme früher Erfahrungen und Verletzungen die für sich selbst und das eigene Leben 'bestmögliche Version seiner Selbst' zu leben. Ein 'entfesseltes' Leben, sich selbst bewusst.
Die eigene Lebensgeschichte bleibt. Eine Suchtveranlagung auch. Wachsamkeit ist wichtig, und die gilt es zu entwickeln. Das braucht Zeit und ist nicht leicht. Und immer wieder eigene Entscheidungen zu treffen.

Es ist keine Sache von 'Faulheit' oder sonstiger Verhaltensweisen, wie Du sie aufzählst, wenn ein/e Süchtige/r Probleme hat oder lange braucht, um von dem süchtigen Verhalten  zu lassen, weil es eben dazu keine verstandesmäßige Entscheidung gab. So ist auch nur mit Verstand und/oder einer imaginären Figur (als 'Beichtvater' oder Wunscherfüller) nicht längerfristig geholfen. Mag für Dich erst mal passen, langfristig bleibt das ungewiss.

Vor allem domiantes, manipulierendes Verhalten ist damit nicht abgestellt.

OG-123:
Hi Rubbel

In deinem Beitrag steckt viel Nachdenken drin – auch eigene Erfahrungen, die tiefer gehen, als man auf den ersten Blick sieht. Ich respektiere das, wirklich. Aber ein paar Dinge will ich trotzdem gerade rücken – nicht aus Trotz, sondern weil ich finde, dass eine ehrliche Diskussion auch mal Reibung aushalten muss.

Zum Vergleich mit „Superman“: Ganz offen – das kam bei mir respektlos rüber. Nicht nur, weil ich selbst gläubig bin, sondern weil du damit etwas sehr Persönliches und Tiefes auf eine Karikatur reduzierst. Ich hab Gott nicht gesucht, weil ich einen neuen Kumpel oder einen Wunscherfüller brauchte. Ich hab ihn gefunden, als gar nichts mehr ging. Als alles zerbrochen war. Der Glaube war für mich kein Ersatz für meine Sucht – sondern ein Gegenentwurf zur Lüge. Und ob man das nachvollziehen kann oder nicht: Es ist echt. Es ist nicht kindlich, nicht naiv, und ganz sicher nicht „lebensfremd“. Wenn du das für dich anders siehst, ist das in Ordnung.

Was das Thema „manipulatives Verhalten“ betrifft: Wenn du damit meinst, wie wir Süchtigen oft andere Menschen benutzen, belügen, unter Druck setzen – ja, absolut. Ich hab das getan. Ich hab Dinge gesagt, die ich nie so gemeint hab. Ich hab Vertrauen ausgenutzt. Ich hab Schuld umgedreht. Und ich hab gelitten – nicht nur wegen der Sucht, sondern weil ich gesehen hab, wer ich geworden war. Aber ich schreibe heute nicht aus diesem Zustand heraus. Ich schreibe aus der Distanz. Aus einem Leben, in dem ich mich dieser dunklen Seite gestellt habe. Und genau deshalb spreche ich so klar über Verantwortung, über Entscheidungen, über Ehrlichkeit. Nicht, weil ich alles im Griff hab – sondern weil ich endlich aufgehört hab, mich rauszureden.

Ich glaube, wir machen oft den Fehler, alles, was unbequem klingt, direkt unter „Druck“ oder „Schuldgefühl“ zu verbuchen. Aber manchmal ist das, was drückt, genau das, was uns aufwecken könnte.Ich weiß, wie es ist, aufzuwachen und zu merken: Heute ist der erste Tag meiner Abstinenz. Und der fühlt sich nicht an wie ein neues Leben.
Der fühlt sich an wie ein Marathon, den man in Handschellen startet – barfuß, mit kaputten Knien.
Aber man geht trotzdem los.
Nicht, weil es leicht ist – sondern weil man wirklich will.
Und da hilft kein Philosophieren, keine Analytik, keine klugen Modelle – nur Wille, Geduld und Disziplin. Und der Mut, die Komfortzone zu verlassen.

Denn was oft als „Suchtverhalten“ getarnt ist, ist manchmal auch einfach Trägheit, Bequemlichkeit, Angst vor Verantwortung.

Veränderung passiert nicht im Kopf. Nicht in der Theorie. Nicht im „Vielleicht irgendwann“. Sie beginnt, wenn du aufhörst, dich selbst zu belügen. Wenn du sagst: Jetzt. Heute. Schluss.

Und weil du es angesprochen hast – ja, ich hab in anderen Beiträgen auch über Werte gesprochen. Über Männer- und Frauenrollen. Nicht, weil ich denke, ein Geschlecht ist besser oder schwächer. Sondern weil ich glaube, dass es kulturelle und natürliche Unterschiede gibt, die man weder leugnen noch fürchten muss. Aber darum geht’s hier gar nicht. Es geht nicht darum, wie Mann oder Frau sich verhalten soll – sondern wie wir alle anfangen können, Verantwortung zu übernehmen. Für unser Handeln. Für unsere Entscheidungen. Für unsere Heilung.

Ich bin nicht hier, um zu manipulieren oder zu missionieren.
Ich bin hier, um ehrlich zu erzählen, was mir geholfen hat.
Vielleicht ist es nicht für jeden das Richtige.
Aber vielleicht bringt es jemanden zum Nachdenken – und zum Handeln.
Und das wäre schon mehr, als viele Worte je erreichen.

Denn ja: Wer wirklich will, kann aufhören.
Nicht mit einem Fingerschnippen.
Aber mit einer Entscheidung, die kein Vielleicht mehr kennt.

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln