15 Jahre!
Fünfzehn Jahre Spielsucht.
Drei Therapien.
Unzählige Nächte, in denen ich mir geschworen habe: Nie wieder.
Und doch wieder gefallen bin.
15 Jahre – und ich bin gerade erst Anfang 30.
Klingt verrückt, oder?
So viel Zeit, so viel Leben –
und trotzdem fühlt es sich manchmal an, als würde ich gerade erst anfangen, wirklich zu leben.
Ich schreibe das nicht, um Mitleid zu bekommen.
Nicht, um Applaus zu hören oder Likes zu sammeln.
Ich schreibe, weil Schweigen irgendwann zu schwer wird.
Weil Worte manchmal das Einzige sind, was bleibt,
wenn alles andere längst verloren ist.
Ich habe vieles verloren:
Zwei Familien. Zwei Ehen.
Ein Haus, in dem Lachen war.
Freunde, die gegangen sind.
Und mich selbst – den Menschen, der ich einmal war.
Aber da ist etwas, das mich nicht loslässt.
Vielleicht ein Rest Würde. Vielleicht Trotz. Vielleicht einfach das Leben selbst.
Ich stehe wieder. Immer wieder.
Wacklig. Müde. Leer.
Aber aufrecht.
In den Therapien traf ich Menschen,
die mir gezeigt haben, dass ich nicht allein bin.
Menschen mit derselben Leere in den Augen,
mit demselben Zittern in den Händen,
mit demselben Traum, doch irgendwie frei zu werden.
Spielsucht – ein Wort, das klingt, als wäre es bloß ein Problem.
Aber in Wahrheit ist es ein Monster,
das dich leise frisst, bis du dich selbst nicht mehr erkennst.
Dabei geht’s nie ums Geld.
Es geht um das Brennen.
Um dieses Loch, das gefüllt werden will, koste es, was es wolle.
In diesen drei Therapien habe ich viel gelernt.
Über mich. Über die Krankheit.
Über das Craving, diesen plötzlichen Sog, der dich aus dem Nichts packt.
Über Suchtverlagerung, wenn du glaubst, du bist „clean“,
aber plötzlich anfängst, anders zu übertreiben.
Über die Vergangenheit, die dich fesselt, wenn du sie nicht ansiehst.
Über Abstinenz, die so viel mehr ist als nur Verzicht.
Über Kontrolle, die in Wahrheit nicht existiert.
Über Co-Abhängigkeit, Schuld, Scham.
Über Routinen, die Halt geben.
Über Selbstfürsorge, die ich nie gelernt hatte.
Über Trigger, Rückfälle, Therapieketten, Emotionen.
Ich habe alles verstanden.
Theorie ohne Ende.
Ein ehemaliger Primar und Gerichtsgutachter sagte einmal:
„Die beste Krankheit ist die Suchterkrankung –
weil man sie selbst in der Hand hat.“
Dieser Satz hat sich eingebrannt.
Am Anfang hat er mich wütend gemacht.
Ich fand ihn überheblich, fast grausam.
Aber irgendwann hab ich’s verstanden.
Er hatte recht.
Denn du kannst alles wissen,
alles durchdringen,
jeden Fachbegriff kennen,
jedes Gefühl analysieren –
und trotzdem nichts ändern,
wenn du nicht selbst den Mut findest, zu handeln.
Weil wir die Einzigen sind,
die es wirklich ändern können.
Niemand sonst.
Es wird Zeit loszulassen.
Es wird Zeit, diesem Scheiß den Mittelfinger zu zeigen.
Und manchmal frage ich mich:
Warum sind wir so?
Ist es in unseren Genen, tief im Blut versteckt?
Oder sind es die Risse in der Kindheit,
die nie richtig verheilt sind?
Traumata, die man nicht benennen kann,
aber spürt – nachts, wenn alles still ist.
Oder ist es einfach das Menschsein selbst?
Diese ewige Suche nach etwas,
das größer ist als wir?
Ich war am Abgrund.
Ich hab den Tod gespürt – nicht als Angst, sondern als Versuchung.
Ich war im Gefängnis,
weil ich Schulden nicht mehr zahlen konnte.
Ich war ein Schatten.
Aber ich bin noch hier.
Ich kämpfe.
Jede verdammte Sekunde.
Gegen das Verlangen.
Gegen das Vergessen.
Gegen diesen inneren Schweinehund,
der mich manchmal auslacht und flüstert:
„Komm schon, nur einmal. Nur ein Spiel.“
Wir sind keine schlechten Menschen.
Das will ich sagen.
Das muss ich sagen.
Wir sind keine Monster, keine Versager.
Wir sind Menschen mit Wunden,
die nur anders aussehen als die von anderen.
Es ist keine Charakterschwäche, wenn man fällt.
Es ist menschlich, wieder aufzustehen.
Und wenn jemand von außen über Spielsucht redet,
spüre ich, wie groß diese unsichtbare Mauer ist.
Sie meinen es nicht böse.
Viele haben Mitgefühl.
Manche haben sogar Tränen in den Augen.
Aber sie können es nicht wirklich verstehen.
Nicht so, wie wir es verstehen.
Sie sehen das Außen –
die Schulden, die Verluste, die kaputten Beziehungen.
Aber sie spüren nicht das Innere –
dieses Vakuum, diesen Sog,
diese falsche Wärme, die dich kurz trägt
und dann wieder zerstört.
Und das ist okay.
Manche Dinge kann man nur fühlen,
wenn man selbst im Feuer stand.
Ich fühle mich oft allein.
Kaum Freunde, kaum jemanden,
mit dem man einfach mal reden kann.
Ohne Scham. Ohne Urteil.
Ohne dieses „Ach komm, reiß dich halt zusammen“.
Vielleicht gibt’s da draußen ja ein paar,
mit denen man wirklich mal im Alltag sprechen kann.
Ehrlich. Echt. Ohne Masken.
Über das, was in uns passiert.
Über diesen ständigen Kampf zwischen Wollen und Dürfen,
zwischen Sehnsucht und Selbstzerstörung.
Und weißt du was?
Das Schreiben hilft mir.
Es ist mein Ventil, mein kleines Licht.
Mein Hobby – wenn man so will.
Zwischen all dem Chaos ist es das Einzige,
das mir nicht wehtut,
sondern mich leiser macht.
Klarer.
Ehrlicher.
Ich lerne langsam, langsamer zu werden.
Entschleunigung.
Atmen.
Mal still sein, ohne gleich zu flüchten.
Manchmal einfach einen Kaffee trinken
und den Himmel anschauen,
ohne etwas zu müssen.
Vielleicht ist genau das der Anfang.
Nicht das große „Ich hab’s geschafft“.
Sondern das leise „Ich bin noch hier.“
Und wenn du das liest und dich irgendwo erkennst:
Du bist nicht allein.
Auch wenn’s sich so anfühlt.
Wir sind viele.
Und wir leben noch.