Unterstützen Sie unsere Arbeit Jetzt spenden!
Hallo Gast
Das Forum wird gewartet. Bitte entschuldigt eventuelle vorübergehende Störungen.
Online-Selbsthilfegruppen Glücksspielsucht
» Mittwochsgruppe    |    » Samstagsgruppe
     

Geld zurück - und dann?

  • 7 Antworten
  • 826 Aufrufe
Geld zurück - und dann?
« am: 21 November 2025, 10:20:51 »
Ich möchte gern einen  Thread öffnen, weil auch einige Nutzer dies gewünscht haben,der nicht auf der juristischen Ebene ansetzt, sondern auf der, die darunterliegt. Wir diskutieren seit Monaten über Urteile, EuGH-Vorlagen, Vollstreckung, Taktiken der Anbieter, Strategien der Anwälte und über die strukturellen Probleme der Branche. Das ist alles wichtig und notwendig – aber es erklärt nur, was außen passiert.

Was kaum besprochen wird, ist das, was innen passiert. Was das alles emotional und moralisch mit uns macht. Für viele ist diese Rückforderungsphase das erste Mal seit langer Zeit, dass die eigene Spielvergangenheit wieder in einer konkreten Weise ins Leben tritt. Nicht durch einen Trigger, nicht durch ein Casino, nicht durch ein Angebot – sondern durch die Aussicht auf „Gerechtigkeit“ und vielleicht auf eine Rückzahlung.

In einer Diskussion hat Olli völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass man beim Thema „Chasing“ sehr vorsichtig sein muss. Er hat gesagt, dass es gefährlich ist, die Rückforderung mit dem früheren Chasing zu verknüpfen. Und ich finde, er hat einen wichtigen Punkt getroffen. Das, was ich meinte, war nicht, dass die Rückforderung selbst ein Chasing ist – sondern dass die innere Bewegung, die manche von uns dabei spüren, etwas aus der alten Zeit berührt.

Chasing war damals getrieben, verzweifelt und irrational. Die Rückforderung ist das genaue Gegenteil: klar, begründet, nüchtern, fair. Aber trotzdem ähnelt sich die emotionale Landschaft in etwas: das Hoffen, das Warten, das Rechnen, die Erwartungshaltung, die Frage, ob und wann etwas zurückkommt. Diese Parallele ist nicht gefährlich, wenn man sie erkennt. Sie ist gefährlich, wenn man sie nicht erkennt.

Deshalb halte ich es für wichtig, genau darüber zu sprechen:
Nicht, weil wir die Rückforderung pathologisieren wollen, sondern weil wir verstehen müssen, dass sie für viele der letzte Kontaktpunkt mit der alten Spielzeit ist. Und weil genau dieser Punkt aus zwei Seiten besteht: der juristischen – und der moralischen.

Denn die Wahrheit ist:
Die Anbieter haben uns damals gezielt ausgenutzt. Unsere Schwächen, unsere Not, unsere Trigger, unsere Verletzlichkeit. Sie haben nicht einfach „Gewinn gemacht“. Sie haben Lebenszeit genommen. Perspektiven. Beziehungen. Selbstwert. Die Rückforderung ist – für viele – nicht einfach „Geld zurück“. Sie ist ein moralischer Ausgleich. Ein Stück Gerechtigkeit. Ein Versuch, ein zerstörtes Kapitel abzuschließen.

Aber der Abschluss entsteht nicht im Gerichtssaal.
Er entsteht in uns.

Und hier liegt der Punkt, den ich ansprechen möchte: Die Rückzahlung – wenn sie irgendwann kommt – ist nicht einfach ein Kontostand. Sie ist das letzte greifbare Stück unserer alten Spielergeschichte. Sie ist die letzte Verbindung zu einer Zeit, in der wir keine Kontrolle hatten. Sie ist das, was wir damals verzweifelt gejagt haben – und jetzt auf einer ganz anderen Ebene zurückbekommen könnten.

Deshalb ist es wichtig, dieses Geld, sollte es kommen, nicht als Einladung zu verstehen, sondern als Abschluss. Nicht als Start, sondern als Ende. Nicht als moralische Rechtfertigung, in alte Muster zu rutschen, sondern als Verpflichtung uns selbst gegenüber, dass wir jetzt endgültig frei sind.

Wenn eine Rückzahlung kommt, muss das der Moment sein, an dem wir die Tür hinter der Spielvergangenheit nicht nur schließen, sondern verriegeln. Einmal. Nicht wieder aufmachen. Es gibt dann keine „Verluste“, die man „wiedergutmachen“ müsste. Keine Ausrede mehr für ein „letztes Mal“. Kein Restrechtfertigungsgerüst.

Die juristischen Prozesse laufen langsam, das ist so. Die Wartezeit ist lang, das ist so. Aber genau diese Wartezeit ist auch die Zeit, in der wir uns innerlich positionieren müssen. Stabil. Klar. Reflektiert. Damit der Tag, an dem irgendetwas auf dem Konto landet, nicht ein neues Risiko schafft, sondern ein moralischer Schlusspunkt wird.

Ich eröffne diesen Thread deshalb als Raum für die Seite, die man nicht in Schriftsätzen erklären kann:
Wie geht man emotional durch diese Phase?
Wie bleibt man stabil?
Wie trennt man den juristischen Prozess sauber vom früheren Suchtverhalten?
Wie vermeidet man, dass Erwartungen zu innerem Druck werden?
Und wie definiert man für sich selbst, was eine Rückzahlung bedeuten darf – und was sie nie wieder bedeuten darf?

Vielleicht ist das genau der richtige Ort, um diese Fragen zu stellen. Nicht vor Gericht, sondern vor sich selbst. Und als Gemeinschaft, die genau weiß, wie sensibel dieses Terrain ist – und wie wertvoll die Spielfreiheit, die wir heute leben.

Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #1 am: 21 November 2025, 11:02:44 »
Danke für diesen Thread. Ich finde das Thema sehr wichtig.

Ich bin schon viele Jahre spielfrei, stehe finanziell sehr stabil da. Das Geld aus den Verfahren ist für mich nicht eng mit dem Spielen verknüpft. Ich sehe es so, dass ich das "Glück" habe einen Anspruch zu haben und daher mache ich diesen Anspruch gerichtlich geltend. Hätte ich in Schleswig Holstein gewohnt und wäre der Sachverhalt identisch, dann hätte ich nicht dieses "Glück".

Mit dem Geld aus den Verfahren plane ich nicht. Egal ist mir Geld trotzdem nicht, zumal es um gigantische Summen geht.

Ich habe die Hoffnung, dass mir erfolgreich abgeschlossene Verfahren dabei helfen auf eine andere Art einen Strich unter diese Zeit meines Lebens zu setzen.

Gleichzeitig weiß ich, dass ich mein ganzes Leben achtsam bleiben muss. Und ganz wichtig: ein chargeback mag finanziell eine "Rückgängmachung" und "Wiedergutmachung sein. Aber die Krankheit wird nicht geheilt. Die zwischenmenschlichen Verletzungen werden damit nicht rückgängig gemacht.
« Letzte Änderung: 21 November 2025, 11:07:24 von Brezel12 »

Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #2 am: 21 November 2025, 14:07:24 »
Danke dir für deinen Beitrag. Deine Sicht bringt genau die Bodenhaftung rein, die in der Diskussion wichtig ist.

Du machst deutlich, dass die Rückforderungen für dich ein rechtlicher Vorgang sind – kein emotionaler Ersatz für das alte Spielen. Das ist eine gesunde und stabile Haltung. Der Hinweis auf das „Glück“ der jeweiligen Gesetzeslage zeigt auch, wie zufällig diese Ansprüche verteilt sind. Mehr steckt nicht dahinter.

Dass du finanziell sicher bist und nicht auf das Geld angewiesen bist, macht das Ganze für dich noch klarer. Und gleichzeitig stimmt natürlich: Egal kann es niemandem sein, wenn es um sehr hohe Summen geht. Das muss man auch nicht kleinreden.

Dein Punkt zur Achtsamkeit ist wichtig. Rückerstattungen können etwas ordnen, aber sie lösen nicht automatisch die Folgen der Sucht. Weder innerlich noch im Umfeld. Das im Kopf zu behalten, schützt einen eher, als dass es einen bremst.

Kurz gesagt: Deine Haltung ist sachlich, reflektiert und stabil. Und genau so sollte man in diese Verfahren hineingehen.

*

Offline Ilona

  • *****
  • 4.078
    • Fachverband Glücksspielsucht e.V.
Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #3 am: 21 November 2025, 14:44:47 »
Danke für diesen Thread. Brezels Beitrag verdeutlicht nochmal, dass es halt Unterschiede macht, in welcher Phase der Glücksspielsucht man die Rückforderung betreibt. Wer gerade frisch vom Zocken kommt oder möglicherweise immer mal wieder rückfällig wird, geht ganz anders an die Sache ran, als jemand, der stabil spielfrei ist, bzw. ernsthaft daran arbeitet. Auch der Hinweis, dass man klug und verantwortungsvoll mit dem zurück erhaltenen Geld umgeht ist wichtig. Man ist ja dann in der komfortablen Lage, dass man die Wiedergutmachung zügiger betreiben kann.

LG Ilona

*

Offline Olli

  • *****
  • 8.100
Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #4 am: 21 November 2025, 15:05:42 »
Hi Hudini!

Vielen Dank für diesen Thread! Du hast alles sehr schön beschrieben!
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #5 am: 21 November 2025, 15:51:35 »
Danke für deinen Beitrag Ilona. Der Unterschied zwischen stabiler Spielfreiheit und einer unsicheren Phase ist wirklich entscheidend. Und genau an dieser Stelle sieht man, wie gezielt die Anbieter arbeiten.

Ein Beispiel dafür ist das Vorgehen bei DSGVO-Auskunftsersuchen, das hier einige erlebt haben:
Man stellt einen ganz normalen Antrag auf Herausgabe der eigenen Daten – und bekommt plötzlich ein „Angebot“, das ungefähr so aussieht:

Wir zahlen Ihnen 5 % der Verluste, wenn Sie dafür auf Ihre Daten und auf alle weiteren Ansprüche verzichten.

Diese Angebote kommen oft genau an diejenigen adressiert, die noch nicht stabil sind, die noch Hoffnung, Druck oder Unsicherheit spüren. Und genau deshalb funktioniert es in vielen Fällen. Das ist kein Versehen, sondern ein bewusstes Ausnutzen einer schwachen Phase.

Menschen, die eigentlich einen vollen rechtlichen Anspruch hätten, werden mit Mini-Vergleichen abgefangen – oft, bevor sie überhaupt verstehen, was ihnen zusteht.

Und natürlich braucht es ein Vorgehen dagegen. Fair wäre, dass Ansprüche sauber geprüft werden, Daten regulär herausgegeben werden und Vergleiche nicht an emotionale oder psychologische Schwächen gekoppelt sind.

Gleichzeitig möchte ich hier nicht wieder komplett in juristische oder politische Details abdriften – genau das wollte dieser Thread ja vermeiden. Der Fokus soll auf der persönlichen Stabilität bleiben und darauf, wie man als Betroffener sicher durch diese Phase kommt, ohne alte Muster zu aktivieren oder sich von solchen Taktiken unter Druck setzen zu lassen.

Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #6 am: 21 November 2025, 16:48:19 »
Hallo Hudini,

sehr guter Beitrag zum Thema.
Ich gehöre zwar nicht zur Gruppe der von dir angesprochenen. Aber ich habe schon vor langer Zeit einmal einen 5-stelligen Betrag zurückgefordert.
Ohne jetzt näher darauf einzugehen, kam was kommen musste. Ich habe alles wieder verspielt. Das Gefühl danach wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind.
Die Leiden waren schlimmer als das, was ich zuvor und danach aus Arbeitslohn und Krediten verzockt habe. Und ich bin heute noch nicht darüber hinweg.

Was ich sagen will. Ist jemand noch nicht gefestigt, dann möge er sich schon jetzt Gedanken zur Sicherstellung des Geldes machen. Du hast es schon sehr gut dargelegt. Macht es besser als ich damals!

Liebe Grüße
Wolfgang
"Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht"
(Theodor Heuss)

Re: Geld zurück - und dann?
« Antwort #7 am: 21 November 2025, 17:54:20 »
@Wolfgang. Das klingt grauenvoll. Das sollte echt eine Warnung für viele hier sein. Und irgendwie hat es ja dann doch etwas Gutes, dass sich die Gerichtsverfahren über Jahre ziehen..

 

Wir danken dem AOK Bundesverband für die Finanzierung des technischen Updates dieses Forums