Hallo Holgi,
ich bin in mehreren Foren unterwegs und es ist immer wieder erstaunlich, wieviele Paralellen sich auftun in den einzelnen Beiträgen.
Ich weiß nicht, ob es hier irgendwo in dem vielen Geschriebenen schon so etwas gibt, was einen Notfallplan beinhaltet. In erster Linie denke ich, ist es wichtig auf einer Eingangsseite die Telefonnummern zu finden, hinter denen sich echte erste Hilfe befindet.
Dort werden meines Wissens auch die entsprechenden Notfallmaßnahmen mitgeteilt.
Trotzdem habe ich jetzt mal einen meiner letzten Beiträge aus einem anderen Forum hier hineinkopiert, in dem ich vor einigen Tagen unter anderem meinen ganz persönlichen Notfallplan dargestellt habe. Aufhänger waren die "Hintertürchen", die sich jeder Spiele zunächst einmal offenhält, damit er doch die Möglichkeit hat weiterzuzocken. Ich kann es aber auch bezeichnen als den inneren Schweinehund überwinden.
Mich würde schon Deine Meinung interessieren, ob und wie ich damit Deinem Bedürfnis nach Notfallplan gerecht werde.
Freue mich auf Deine Antwort!
Marlies
Hallo,
"Schließung der Hintertürchen" 3 Worte mit großer Bedeutung. Wahrscheinlich sogar mit der größten Bedeutung, wenn man sich vornimmt sein Leben zu ändern und nicht mehr Zocken will.
Es fällt mir soviel dazu ein, soviel Erinnerung wie ich mit den Hintertürchen umgegangen bin, daß ich Euch daran teilhaben lassen möchte:
Ich weiß wirklich nicht, wie oft ich aufhören wollte zu spielen. Die unzähligen Male, direkt aus der Halle kommend, jede Nacht wieder mit dem Vorsatz "heute war das letzte Mal", weiß nicht, ob ich mit 2 Nullen am Ende auskomme, eher müssen da wohl mindestens 3 Stück hin.
Spätestens am Abend des nächsten Tages habe ich wieder überlegt, welches Hintertürchen mir noch offen steht, um wirklich an diesem Abend das allerletzte Mal zocken zu gehen. Und immer gab es irgendwo noch eines. Manchmal musste ich ziemlich lange suchen, gefunden habe ich es immer, auch wenn es immer schwieriger wurde.
Als ich merkte, das ich wirklich nicht aufhören konnte, habe ich etwas sehr Dummes gemacht, etwas was ich wirklich keinem Menschen empfehlen möchte (obwohl auch das war eigentlich wieder nur ein Hintertürchen). Ich habe bewußt gezockt bis ich nur noch die Möglichkeit hatte entweder Farbe zu bekennen - sprich mich zu outen und alle Konsequenzen in Kauf zu nehmen - oder kriminell zu werden. Die Kriminalität war in meinen Augen das allerletzte Türchen, welches noch offen war. Angst hatte ich, furchtbare Angst. Ich kann heute noch nicht sagen wovor mehr, vor dem Outing, vor den Konsequenzen, vor der Kriminalität, vor der Ausweglosigkeit, vor meiner eigenen Courage. Das Zocken habe ich schon vermißt, als ich noch meine letzten Euros verspielte.
2 volle Tage habe ich noch gebraucht, bis ich mich endgültig entschieden hatte gegen die Sucht. Als erstes habe ich mich geoutet - bei meinem Nachbarn, der Psychologe und im speziellen Suchttherapeut ist. Eine Lösung hatte ich gleich im Gepäck. Zettel habe ich mitgenommen. Zettel, die ich bereit war, in den Spielhallen zu verteilen mit meinem Bild darauf und der Bitte, sollte ich in einer der Hallen auftauchen, sofort die darauf angegebenen Telefonnummern zu wählen. Die Nummer meines Nachbarn stand auch drauf, allerdings wußte ich, dass ich die nicht einfach so veröffentlichen durfte. Auf sein Anraten hin habe ich die Zettel nicht verteilt (heute weiß ich, das auch diese Maßnahme von mir nur eine Alibifunktion hatte, weil ich die Kontrolle darüber gehabt hätte, in welche Hallen die Zettel gegangen wären)
Mit Hilfe meines Therapeuten haben wir einen "Erste-Hilfe-Plan" erstellt. Diesen Plan kennt fast jeder hier, der sich offizielle Hilfe suchte, weil er ihn in ähnlicher Form zunächst auch vorgeschlagen bekommen hat: wie Kontokarten abgeben, Geld zuteilen lassen, Buch führen, jede Ausgabe absprechen ect. Nach wie vor finde ich persönlich es übrigens sehr wichtig, diese Dinge zunächst einmal durchzuführen. Bei mir gehörte unter anderem auch dazu, Umwege zu gehen, zu fahren. Nie auf dem direkten Weg an einer Halle vorbei. Ganz egal wie groß und aufwendig diese Umwege waren. Ich habe speziell diese Maßnahme zunächst als albern empfunden. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, es hat mir mehr als gut getan!
Und nun kommt noch etwas. Ich habe angefangen, selbst nach Dingen zu suchen, die meinem Mann und meiner Tochter zeigen sollten, das sie mir vertrauen können. Dazu gehörte auch, dass ich, wann immer ich mich nicht zu Hause oder bei der Arbeit aufhielt, beständig die Festnetznummern angab, unter denen die beiden mich erreichen konnten (was sie aber nie taten). Ebenfalls habe ich darauf bestanden, Ihnen mitzuteilen, wo mein Auto parkte, sollte ich in der Stadt sein. (In unserer Kleinstadt ist es so gut wie unmöglich, nicht in der Nähe einer Halle zu parken). Und ich habe geredet. Geredet und nochmal geredet. Über alles, übers Spielen, meine Gedanken, meine Gefühle, meine Ängste, meine Nöte, meine Sorgen. Es war mir wichtig, sie an allem teilhaben zu lassen, um ihnen zu zeigen, das sie mir vertrauen können. Manchmal waren sie genervt, weil immer wieder das Thema spielen im Vordergrund stand- aber doch immer verständnisvoll. Mit einem kurzen Satz: ich habe selbst mit allen Mitteln alle Hintertürchen gesucht und verschlossen.
Irgendwann habe ich dann die Foren entdeckt, die mir das Reden ein wenig ersetzen, so dass wir uns zu Hause auch mal wieder "ganz alltäglichen Dingen" widmen können, ohne gleich auf das Thema spielen zu kommen, was meiner Familie mehr als gut tut und was nicht heißt, das wir auf dieses Thema nun verzichten, sondern einfach nur, dass es nicht mehr im Vordergrund steht.
Es hat 4 Monate gedauert, bis ich meine Kontokarten wieder hatte, ca. ein halbes Jahr, bis ich keine Umwege mehr ging oder fuhr und ab und zu bin ich mal enttäuscht, dass keiner der Beiden die Festnetznummer haben möchte, unter der ich zu erreichen bin, weil sie sagen, sie vertrauen mir wieder.
Ich spiele jetzt seit ca. 1,5 Jahren nicht mehr. Und ich habe auch keinerlei Verlangen mehr danach. Eines habe ich mir geschworen: ich werde nie mehr den Fuß über die Türschwelle einer Spielhalle setzen, um mich nicht wieder in Gefahr zu bringen.
Und noch etwas: es lohnt sich, auf ein Leben ohne Spiel hinzuarbeiten, mit allen Fasern und Sinnen. Das Leben ohne Spiel ist um so vieles erlebnisreicher und aufregender. Ein Automat kann das gar nicht bieten. Voraussetzung dafür ist, dass man sich dem Leben stellt - mit allen Höhen und Tiefen, allen Sorgen und Nöten, allem Freud und Leid.
Gute 24 Stunden
Marlies