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Der Wecker hat geklingelt...

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Der Wecker hat geklingelt...
« am: 27 April 2019, 00:15:20 »
Der Wecker hat geklingelt. Morgens um 4:30 Uhr.
Ich steh auf, nehme meine Klamotten und laufe wenig später hell wach in das Badezimmer und geh duschen.

Zum dritten Mal ist nun etwas anders.

Ich mache mir keine Gedanken darüber, ob Sportereignisse aus aller Welt über Nacht das Ergebnis hervorgebracht haben, welches ich mir am Abend vorher so sehr erhofft habe. Das Ergebnis, welches mir den letzten großen Gewinn beschert, um Dispokredit und Kreditkarte ausgleichen zu können. Denn dann würde ich alle Apps und Konten sperren, den Sportwetten den Rücken zu kehren, die Verluste der letzten 10 Jahre abschreiben und mich meines wunderschönen Lebens erfreuen. Stolz darauf sein, dass ich eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein abgeschlossenes Studium, die Liebe meines Lebens und eine wunderbare Familie habe.

Ich habe aber so eine Wette nicht abgeschlossen. Und hätte es doch gekonnt. Hätte zum x.-Mal eine 7er, 8er, 9er oder 10er Kombiwette abschließen können. Denn Spiele liefen genug. Wie jeden Tag zu jeder Uhrzeit. Auch an fehlenden Analysen auf einschlägigen Websites, die "freesupertips" versprechen oder die Ärmsten unter uns Spielern als "Bulls" bezeichnen, hat es nicht gelegen. Auch am "Kapital" lag es nicht, denn das Konto ist zwar überzogen, aber der Dispo gibt noch genügend Stoff her um diese eine, alles verändernde Wette abzuschließen. Es wäre so einfach gewesen. Aber dieser Morgen, dieser beginnende Tag ist anders. Denn:

Es beginnt der dritte Tag nach dem ich beschlossen habe aufzuhören mich einer Macht auszusetzen, über die ich mittlerweile soviel in diesem Forum lesen konnte.
Es beginnt der dritte Tag nach dem ich mir eingestanden habe glücksspielsüchtig zu sein oder auf dem besten Wege dorthin bin.
Es beginnt der dritte Tag nach dem ich beschlossen habe an dieser Situation etwas ändern zu wollen.

Zum dritten mal ist auch meine "Morning-Routine" anders.

Regelmäßig habe ich bereits 20 Minuten nach dem der Wecker geklingelt hat den ersten Tiefschlag das Tages erhalten. Die Kombiwette ging wieder nicht auf. Dabei wäre doch alles so einfach gewesen mit diesem vielversprechenden "Mega Odds Accumulator". Wie so häufig hat nur dieses eine Tor gefehlt. Nur dieser eine Run. Bevor ich auch nur ein Wort mit einem anderen Menschen gewechselt habe, war mein Tag gelaufen. Und es hat doch niemand gemerkt. Denn Probleme überspielen kann ich. Das beherrsche ich nach 10 Jahren hartem Training beinahe in Perfektion. Das andere Spiel jedoch nicht. Aber dieser Morgen, dieser beginnende Tag ist anders. Denn:

Es beginnt der dritte Tag nach dem ich verstanden habe, dass ich dieses Spiel auch nie beherrschen werden.

Zum dritten mal trinke ich auch meinen morgendlichen Kaffee anders. Nein. Ich bereite ihn schon anders zu.

Während meine Baristakünste durch den Gedanken an Plan B, den Verlust der Sportwette und dem damit verbundenen Einsatz wieder auszugleichen, bisher im Keller eingesperrt waren, kann ich nun förmlich an unserer Kaffeemaschine zaubern (Kaffeepad rein, Knopf drücken, Kaffeepad in den Mülleimer - aber es fühlt sich wie zaubern an, denn ich mache es bewusster als in der Vergangenheit). Ich habe ein Teil meines Lebens wieder aus dem Keller gelassen, von dem ich hier in diesem Forum schon soviel lesen konnte. Und gleichzeitig habe ich Platz geschaffen. Ich habe für Ihn Platz gemacht. Für Eugene wie viele von euch Ihnen nennen. Und habe ihn eingesperrt. Ich hätte ihn jedoch am liebsten rausgeschmissen. Ganz aus meinem Haus verbannt und so getan, als ob es ihn nicht gäbe. Die verlorene Sportwette abgeschrieben und es am nächsten Abend nochmal versucht. Es ist ja Freitag. Und Freitagabend gibt es nun auch genügend populäre Sportereignisse zur Primetime. Aber dieser Morgen, dieser beginnende Tag ist anders. Denn:

Es beginnt der dritte Tag an dem ich Ihm in die Augen sehen und in aller Deutlichkeit sagen kann, dass er mir nicht gut tut.

Zum dritten mal ist nun auch der Kaffee auf Trinktemperatur und schmeckt anders.

Plan B, der Ausgleich meines Verlustes von letzter Nacht, musste anlaufen. Um 4:55 Uhr ist das Angebot aber doch sehr mager. Zumindest für mich. Denn ich wette ja nur auf seriöse Spiele. Denn die kann ich einschätzen, auf die kann ich mich verlassen. Weder das eine, noch das anderes besitzt ein Fünkchen Wahrheit. Die Kombinationen, die ich spielte, wurden von wildfremden Menschen durch noch wildere Analysen zusammengedängelt. Eingeschätzt habe ich gar nichts. Ich habe mich angeschlossen. Bin anderen hinterher gelaufen. Wie ein Lemming. Aber jetzt 15 Stunden warten. Bis zum nächsten Anpfiff. Bis zum nächsten Ereignis. Das geht nicht. Das geht nicht, weil "Zeit ist Geld". Und meine schlechte Laune, wird dadurch auch nicht besser.
Wie gut, dass mittlerweile jeder Sportwettenanbieter für Lemminge wie mich, eine Alternative anbieten, die einen nach einer verlorenen Wette wieder nach vorne bringen. Einen praktisch davor bewahren, von der Klippe zu stürzen. Das Sagen umwobende, alles zerstörende und doch so reizvolle Online-Casino. Hier kann ich wirklich zu jeder Zeit meinen Verlust wieder gut machen. Das hat schon oft funktioniert. Meistens wenn das Smartphone im W-Lan eingewählt war. Die mobilen Daten haben ja noch nie Glück gebracht. Auch die Uhrzeit spielt mir in die Karten. Denn morgens um 4:55 Uhr spielt ja kaum einer. Die Slots sind also prall gefüllt, zahlen mehr aus als sonst. Außerdem ist Freitag. Freitags war schon immer ein Glückstag. So wie Montags, Dienstags, Mittwochs, Donnerstags, Samstags und Sonntags auch. Weil am Montag möchte der Anbieter einen für die neue Woche motivieren. Und am Dienstag, das weiß jeder, soll ordentlich Promotion für die abendliche Champions League gemacht werden. Und Mittwochs, Donnerstags, Freitags...
Aber dieser Morgen, dieser beginnende Tag ist anders. Denn:
Es beginnt der dritte Tag an dem ich meinen Kaffee trinke, genieße und nicht herunterstürze. Weil ich auch hier Platz gemacht habe und ihn nutzen kann, um mich auf andere Sachen zu konzentrieren. Auf mein Leben. Auf das Leben, dass ich leben möchte. Weil ich es will und nicht der Mietnomade, der nun im Keller wohnt.

Zum dritten mal fahre ich nun zur Arbeit. Und bin ein Stück zufriedener mit mir.

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Ich habe inwzischen viel in diesem Forum mitgelesen. Und konnte viel Kraft daraus ziehen, dass ich nicht alleine bin mit meinen Sorgen, Ängsten und mit meiner Sucht. Wohlwissend, dass in der derzeitigen Bilanz "nur" drei Tage "spielfrei" einem etablierten Verhaltensmuster entgegenstehen, fühle ich mich bereits jetzt besser. Alleine der Gedanke, dass ich mich dagegen zu Wehr setze. Alleine der Gedanke, dass ich noch die Möglichkeit habe mit einem blauen Auge davon zu kommen. Ich bin 28 Jahre alt, habe ein Dispokredit über 600 € und eine Kreditkarte, die bis zum Limit 2.000 € ausgereizt ist. Auf Grund meiner beruflichen Situation bin ich in der Lage diese Verbindlichkeiten in 3-4 Monate vollständig abzulösen. Unter der Voraussetzung, dass das Gehalt nicht verbrannt wird.

Ich werde in Zukunft meine weiteren Erfahrungen mit euch teilen. Insbesondere den ersten Geldeingang nach dem ich mein Leben geändert habe.
Bisher sehe ich diesem Tag sehr zuversichtlich entgegen, da ich wie o.b. derzeit auch noch Geld auf dem Konto habe. Ich verspüre auch momentan keinen Spieldruck.

Da ich nun sehr viel geschrieben habe und allmählich den Überblick verliere, höre ich nun auf. Sofern ich etwas kriegsentscheidendes vergessen habe, antworte ich sehr gerne auf eure Fragen (klingt komisch, da ich eigentlich derjenige sein müsste, der euch befragt. Oder nicht?).



Re: Der Wecker hat geklingelt...
« Antwort #1 am: 27 April 2019, 07:58:49 »
Hi😁

Ich wünsche dir einfach mal viel Glück bei deinem Vorhaben. Ich würde dir empfehlen dich irgendwie bezüglich deines Gehaltes abzusichern. Wenn ich kein oder wenig Geld hatte hab ich auch kaum gespielt. Wenn ich es dann in der Hand hatte war es manchmal wie verzaubert und dann ging es los. Hab ich wenn auch nicht komplett bewusst auch darauf angelegt.

Spielen ist als lebensinhalt einfach zu wenig. Mathematisch bekomme ich pro gesetztem Euro weniger zurück. Außerdem wäre da noch der nicht unerhebliche Zeitverlust. Nicht nur beim spielen sondern auch die "vor- und Nachbereitung" und Kopfkino. Zu der komplett verlorenen Zeit kommt dann noch die in der ich angepisst bin weil ich X Euro verzockt hab.

Geld sollte man eigentlich gegen Waren und Dienstleistungen eintauschen. Einen Automaten hinstellen und mit Strom versorgen ist aber keine 500 Euro an einem Abend wert, da könnte ich mir 25x die Haare schneiden lassen oder 2000 Brötchen kaufen. Schon irgendwie krank wenn man bedenkt das manche für ein paar Cent die Stunde Müll sortieren. Oder Schwefel einen Berg hinuntertragen.

Mir wird übel wenn ich drüber nachdenke wieviel Geld die Forumsteilmehmer hier schon in die Tasche der Glücksspielindustrie gewirtschaftet hat. Das ist die Welt in der unsere Kinder groß werden und wir tragen dazu bei das solche Leute noch mehr Geld und damit Macht besitzen. Sollte man vielleicht auch mal bedenken.

Schönes Wochenende😁


 

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