Glücksspielsucht => Aktuelles und Termine => Thema gestartet von: Ilona am 19 Juni 2020, 14:15:12
-
Pressemitteilung
Kein Bonus für illegale Glücksspielanbieter
Der Fachverband Glücksspielsucht e.V. kritisiert entschieden die von Hessen und Sachsen ausgehende Initiative, illegales Glücksspiel bis zum Inkrafttreten des neuen GlüStV im Juli 2021 zu dulden. Weder aus suchtpolitischer noch aus rechtsstaatlicher Perspektive ist dies nachvollziehbar. Das Gegenteil wäre richtig: Denn wer jetzt noch illegales Glücksspiel in Deutschland anbietet, sollte – angesichts der höchstrichterlich bestätigten europarechts- und verfassungskonformen Rechtslage – keine Möglichkeit erhalten, eine ab Juli 2021 wirksame Erlaubnis zu beantragen. Gängige gewerberechtliche Praxis ist, die „Zuverlässigkeit“ von Marktteilnehmern – dazu gehört insbesondere ihre Gesetzestreue – vor Markteintritt sorgfältig zu prüfen. Nicht hinnehmbar ist, dass Anbieter, die aus privaten Gewinninteressen die deutsche Gesetzgebung jahrelang ignoriert haben, auch noch mit einer lukrativen Konzession belohnt werden.
Wer illegal tätige Glücksspielanbieter dulden will – wie Hessen und Sachsen aktuell fordern –, untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Er bestraft die ehrlichen Anbieter, die sich zurückgezogen haben oder nie am deutschen Markt tätig waren, sowie die, die – nach den gesetzlichen Vorgaben – ab Juli 2021 unter Einhaltung der Auflagen behördlich erlaubt tätig werden wollen. Die Ehrlichen wären also „die Dummen“.
Keinerlei Rolle spielen bei all diesen Überlegungen die Ziele der Suchtprävention oder des Spielerschutzes. Auch die Frage, wie illegal tätigen und nun möglicherweise geduldeten Anbietern ab Juli 2021 erklärt werden soll, dass sie sich dann auch an suchtpräventive Beschränkungen halten sollen, wird nicht beantwortet.
Es entsteht der Eindruck, man komme einer finanzstarken Lobby mit offenen Armen entgegen, belohne bewusste Rechtsverstöße und diskriminiere rechtstreue Antragsteller. Das ist in einem Rechtsstaat nicht hinzunehmen und bedarf dringend einer Korrektur. Die Bundesländer sollten den GlüStV unter diesen Bedingungen nicht ratifizieren.
Bielefeld, den 19.06.2020 Ilona Füchtenschnieder (Vorsitzende)
Für Rückfragen: 0171 42 31 626
Vorstand:
Ilona Füchtenschnieder, Bielefeld
Dr. Jörg Petry, Bielefeld
Dr. Ulrich Kemper, Gütersloh
Frank Gauls, Bielefeld
Petra Hammer-Scheuerer, Kassel
Jan Paul Bieniek, Bad Fredeburg
Prof. Dr. Jan-Philipp Rock, Hamburg
www.gluecksspielsucht.de
https://www.gluecksspielsucht.de/files/pm-fags-19-06-2020.pdf
-
Der Fachbeirat Glücksspielsucht hat heute zeitgleich ebenfalls eine PM zum Vorschlag der Duldung illegaler Anbieter veröffentlicht.
Pressemitteilung des Fachbeirat Glücksspielsucht nach § 10 Abs. 1 Satz 2 GlüStV - eine unabhängige Einrichtung zur Beratung der Länder -
Expertengruppe lehnt Duldung illegaler Online-Glücksspiele in Deutschland entschieden ab
Wiesbaden, 19.06.2020: Der Fachbeirat Glücksspielsucht, ein siebenköpfiges Expertengremium, das die Bundesländer bei der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags berät, lehnt den Vorschlag der Länder Hessen und Sachsen, illegale Online-Casinos auf dem deutschen Markt nicht mehr länger zu verfolgen, entschieden ab. Wie am 16. Juni 2020 auf tagesschau.de (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/gluecksspiele-bundeslaender-103.html) gemeldet, setzt sich das Hessische Innenministerium im Hinblick auf den neuen Glücksspielstaatsvertrag, der im Juli 2021 in Kraft treten soll, für eine Duldung dieser Angebote ein.
Nach aktueller, höchstrichterlich bestätigter Rechtslage sind Online-Glücksspiele wie Online-Casinos, Online-Poker oder Online-Automatenspiele in Deutschland verboten. Ausnahmen gibt es lediglich in Schleswig-Holstein. Trotz dieses Verbots agieren viele Glücksspielanbieter aus dem Ausland mit deutschsprachigen Webseiten relativ ungehindert auf dem deutschen Markt. Der Fachbeirat Glücksspielsucht hält es für vollkommen falsch, die illegal agierenden Glücksspielanbieter mittels einer Duldung zu tolerieren und quasi über Nacht sogar zu legalisieren. Viele Glücksspielanbieter, darunter übrigens namhafte Anbieter wie Tipico, bwin oder bet-at-home, bieten seit Jahren illegales Glücksspiel in Deutschland an. Diese Angebote quasi durch die Hintertür zu legalisieren, wäre auch eine Verhöhnung aller Glücksspielanbieter, die sich in den letzten Jahren an geltendes deutsches Recht gehalten haben. Strafbares Handeln schafft hier einen Wettbewerbsvorteil, das ist ein Umstand, der aus rechtlicher und gesundheitswissenschaftlicher Sicht nicht zu tolerieren ist. Nach dem Entwurf des Glücksspielstaatsvertrags, der sich aktuell im Notifizierungsverfahren bei der EU befindet, soll der Markt für bestimmte Online-Glücksspiele ab Juli 2021 geöffnet werden. Bis dahin gilt allerdings noch bestehendes Recht und somit ein Verbot. „Das ist in etwa so, als würden Sie innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit 100 fahren und nicht dafür belangt werden, weil 500 Meter später ja sowieso 100 km/h gelten“, meint Konrad Landgraf.
Tobias Hayer sieht in einer Duldung der illegalen Angebote darüber hinaus eine große Gefahr für die Nutzer dieser Angebote, denn: „Diese Glücksspielangebote bieten keinen Spieler- und Jugendschutz. So kann man sich beispielsweise ohne einen sicheren Nachweis des Alters bei vielen der Glücksspielanbieter anmelden und um Geld spielen. Damit wäre es Minderjährigen ohne Probleme möglich, an Glücksspielen teilzunehmen.“ Unabhängig von den Lücken im Spieler- und Jugendschutz bergen die betreffenden Online-Glücksspiele durch ihre schnelle Spielge-schwindigkeit in Verbindung mit der hohen Verfügbarkeit ein sehr hohes Suchtpotenzial. Zusätzlich verstärkt wird die Problematik durch die exzessive Werbung für Online-Glücksspiele.Aus den genannten Gründen lehnt der Fachbeirat die Duldung illegaler Glücksspielanbieter kategorisch ab. Vielmehr fordert er, diejenigen Unternehmen, die aktuell illegales Glücksspiel in Deutschland anbieten, von der Lizenzvergabe 2021 auszuschließen. Die Möglichkeit, eine Lizenz erwerben zu können, sollten nur Glücksspielanbieter erhalten, die sich mindestens zwei Jahre an die in Deutschland geltende Rechtslage gehalten haben.
Für die Mitglieder des Fachbeirats Glücksspielsucht
PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Vorsitzender des Fachbeirats Glücksspielsucht
Kontakte:
Konrad Landgraf, Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, konrad.landgraf@lsgbayern.de
Dr. Tobias Hayer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen, tobha@uni-bremen.de
PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Forschungsgruppenleiter Sucht an der Universität zu Lübeck, hans-juergen.rumpf@uksh.de
https://www.lsgbayern.de/fileadmin/user_upload/lsg/News/200619_Pressemitteilung_Fachbeirat_Gl%C3%BCcksspielsucht_Duldung.pdf?fbclid=IwAR3ORCViewhC1AV22kgT6rbbGWLI3BpEULTpMYL4YF6mPd8xrXs1ASCdcvs
https://innen.hessen.de/buerger-staat/gemeinsame-geschaeftsstelle-gluecksspiel/fachbeirat