Glücksspielsucht => Angehörige => Thema gestartet von: Salu am 25 Oktober 2025, 16:00:57

Titel: Mutterherz
Beitrag von: Salu am 25 Oktober 2025, 16:00:57
Hallo und guten Tag.
Nachdem ich seit einigen Tagen viele eurer Beiträge gelesen habe, ist mir schon sehr vieles klar geworden. Ich bin die Mutter eines 27 jährigen Sohnes und co-abhängig. Ich begleite meinen glückspielsüchtigen Sohn seit über 5 Jahre. Er wohnt nicht im selben Haushalt , war letztes Jahr in einer Klinik und nach dieser Zeit nicht mehr glückspielsüchtig, sondern verlagerte seine Sucht aufs Kiffen. Da er sich nun einer ärztlichen Untersuchung unterziehen muss, von welcher er glaubt, sein Blut werde bzgl. Drogenkonsum getestet, hat er mit dem Kiffen aufgehört. Zusätzlich hat seine Freundin die Beziehung beendet und er steht und gr0ßem beruflichen Druck. Ich habe ihn mit viel Liebe, viele Gespräche, viele Spaziergänge, viel Geld und mit ständiger Bereitschaft, immer in irgendeiner Form erreichbar zu sein . unterstützt. Er ist nun rückfällig geworden und hat mir zu Beginn des Monats letztendlich mit einer grandiosen Geschichte rund 1500 Euro aus der Tasche gezogen- Aufgrund massiver Geldanforderungen, habe ich ihn seit drei Wochen auf allen Kanälen blockiert. Realistischerweise hängt seine Wohnung und sein Beruf am seidenen Faden. Mit meiner Unterstützung hat er beides bisher behalten können. Sein Geld wird teilweise gepfändet, so dass er nur begrenztes Gehalt zur Verfügung hat.
Ich selbst bin unheimlich müde geworden und sehr erschöpft. Ich weiß nun, dass ich co- abhängig bin, weiß nun auch, dass ich ihm kein Geld mehr zur Verfügung stellen darf.
Meine Frage ist, wie kann ich dies mit meinem Herz aushalten? seit meiner Blockierung geht es mir psychisch sehr schlecht und keineswegs besser. Und ohne meine Unterstützung wird er Job und Wohnung verlieren. Wie kann das mein Herz aushalten, wie kann ich es schaffen, zu sehen, dass er auf die Straße gehen muss, ohne selbst daran kaputt zu gehen? Sollte ich ihn wieder entblockieren, um ihm ohne Geld weiter zur Seite stehen zu können? Dieser Schritt gestaltet sich für mich sehr schwierig. Mein Verstand sagt ja, sonst hat er ja keinen mehr, mein Herz hat unendliche Angst und Stress. Ich kann nicht nein sagen. wenn er weint und am Ende ist. Vielleicht hat ja jemand hier Lust, etwas drauf zu schreiben. Ich würde mich sehr freuen.
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Olli am 25 Oktober 2025, 17:12:27
Hi Salu!

Jeder kann alles immer von mindestens 2 Seiten betrachten. Also schauen wir einmal auf das, was Du siehst:
Er leidet, er bettelt, er sucht Kontakt, der Arme lügt doch nur, damit ich ihm helfen kann ...

Jetzt kommt die andere Seite:
So lange er immer wieder seine Mama hat, die ihm das Näschen schnäuzt und ihm Geld in den Allerwertesten steckt, so lange braucht ER nichts zu verändern! Dass er sehr wohl etwas verändern kann, das hat er bewiesen, wenn er sich seine Dopamindosen auch woanders geholt hat.

Ich habe hier schon hunderte Male verewigt, dass ich mir heute wünschen würde, dass meine Eltern einmal konsewuent gewesen wären. Etliche Male bin ich rausgeflogen aus dem Elternhaus und schon direkt beim ersten Mal lernte ich ... ich muss nur abwarten. Irgendwann kommt der Anruf: Komme zurück!
Doch was hätte ich wohl gemacht, wenn sie gesagt hätten: Kümmere Dich um Deine Genesung! DANN können wir wieder reden - vorher nicht!
Nun, 2 Wochen im Auto schlafen, das ging ja noch ... sogar im Winter. Ich hätte meine Familie vermisst, hätte Heimweh bekommen.  Hätten mich diese und andere Umstände dazu gebracht mir Hilfe zu suchen? Natürlich weiss ich nicht, was geschehen wäre. Doch mir hätte sich mit der Konsequenz meiner Eltern eine Möglichkeit eröffnet eben NICHT 20 Jahre in der Sucht zu verweilen.
Auch ich habe danach mir und allen anderen bewiesen, dass ich abstinent leben kann.

Du vermisst Deinen Jungen, klare Sache. Doch hilfst Du ihm wirklich, wenn er wieder zu Dir kann, Dich bequatschen kann, Dich manipulieren kann? Bist Du dann wieder glücklich? Helfe ihm, indem Du loslässt!

Du weisst, heute abend ist Webmeeting. Komme vorbei und lasse uns über Möglichkeiten reden ...
https://www.forum-gluecksspielsucht.de/forum/index.php/topic,4941.msg44268.html#msg44268
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Salu am 26 Oktober 2025, 10:28:31
Guten Morgen Olli,
vielen lieben Dank für deine schnelle und klare Antwort. Gestern hat es mir terminlich nicht zum Meeting gereicht, bei dem nächsten wäre ich sehr gerne dabei. Immer klarer ist mir vor Augen, dass ich loslassen muss. Bedeutet Loslassen aber wirklich alles? Keine Lebensmitteltüten vor die Haustüre, keine Schlafmöglichkeit bei Kündigung der Wohnung? Ich weiß, ich hadere mit den Konsequenzen, da sie im Realen unfassbar grausam erscheinen und beinahe nicht auszuhalten sind. Wie kann ich meinen Sohn begleiten ohne Geld, wenn dies sein Hauptanliegen ist? Wie kann ich mich schützen und gleichzeitig für ihn da sein?
Ganz liebe Grüße
Salu
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Olli am 26 Oktober 2025, 11:24:22
Hi Salu!

Zitat
Bedeutet Loslassen aber wirklich alles?

Nun, ich bin da ein wenig strickt. Das muss aber für Dich nicht gelten. Da Du von Coabhängigkeit gesprochen hast, braucht es vielleicht erst einmal einen Schnitt, damit er Dich nicht manipulieren kann. Ist dies in seinem Kopf angekommen, dann kann er gerne zu seiner Mutter zum Reden kommen.

Aber ja, keine Essenspakete, denn dann kann er ja beruhigt seinen letzten Cent verspielen. Fliegt er aus der Wohnung, dann kann er die Erfahrung sammeln unter der Brücke zu schlafen. Hier darfst Du ihm gerne einen Schlafsack kaufen, bei Dir schlafen geht erst wieder, wenn er sich bewegt hat und zeigt, dass er abstinent leben kann. Also keine Versprechungen ... Taten müssen her.

Ist diese Deine Konsequenz eine Bank, dass er sich bewegt? Mitnichten! Aber Du bietest ihm damit eine große Chance. Ergreifen muss er sie schon selbst.

Dein Sohn ist 27 Jahre jung. Ich habe weitere 11 Jahre gebraucht, um selbst einzusehen, wie sehr ich mir selbst schade. Möchtest Du aber noch so lange leiden? Hilf ihm! Lasse los ... ER braucht diese Einsicht, nicht Du! :)

Gerne komme Samstag vorbei. Mal schauen, was die Gruppe Dir zu sagen hat ...
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Ilona am 26 Oktober 2025, 19:49:04
Liebe Salu,
hast du schon einmal darüber nachgedacht, zu einer Suchtberatungsstelle zu gehen und dich dort beraten zu lassen? Dann kannst du dich ganz in Ruhe mit allen Möglichkeiten auseinander setzen.
Alles Gute!
LG Ilona

Adressen findest du hier: https://www.gluecksspielsucht.de/adr/index.php
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Salu am 26 Oktober 2025, 22:10:45
Liebe Ilona,
Vielen Dank für deine Nachricht. Schon im letzten Jahr und auch im diesem war ich bei der Suchtberatung. Dort wurde mir Kontaktabbruch und Loslassen empfohlen. Ich wollte nicht glauben, dass ich mein krankes Kind einfach loslassen sollte, für mich war das ein Fallen lassen. Ich dachte, dass es dazwischen etwas noch geben müsse. Aber ich kann es einfach nicht finden.
Ganz liebe Grüße Salu
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Olli am 27 Oktober 2025, 06:14:47
Hi Salu!

Das Loslassen ist kein Verrat an Deinem Kinde. Es ist auch kein Verrat Deines Mutterseins. Gerade Letzteres gehört zu Deiner Identität und wenn der Glaube daran etwas "falsch" zu machen vorherrscht, dann fühlst Du Dich beim Loslassen schlecht.

Das Loslassen ist aber eben ein Zeichen von Liebe. Es ist eine aktive Hilfe. Anscheinend kann Dein Sohn momentan nur das Positive an seiner Sucht sehen und verteidigt sie mit allen Mitteln. Kein Arzt, keine Mutter kann ihn da eines Besseren belehren. Er muss diese Erkenntnis selber machen.

Hier ein Zückerchen in den Allerwertesten geblasen, da über das Köpflein gestreichelt und noch vieles vieles mehr hält ihn aber davon ab.

In Deinen Augen möchtest Du etwas tun ... Du möchtest handeln. Ein Loslassen käme aber einem Unterlassen gleich ... Untätigkeit ist das genaue Gegenteil von dem, was Du willst. Es ist aber nicht an Dir zu handeln, sondern an ihm.
Schaue, wie viele Jahre Du nun schon so hilflos verbracht hast. Egal, was Du Dir hast einfallen lassen, um ihm zu helfen ... es hat nicht geholfen. Wie kann es das auch, wenn es ihm hilft seine Sucht weiter auszuüben. Du hälst ihn bisher davon ab Verantwortung für sich und sein Leben zu übernehmen. Es hilft ihm nicht, wenn Du sie für ihn trägst. Es ist seine Sucht! Es ist seine Pflicht etwas dagegen zu unternehmen.
Wenn er dazu erst tief fallen muss, dann muss er das eben tun! Sollte er dann umdenken, dann bist Du da, um ihn moralisch zu unterstützen. Nehme hier ruhig den worst case an. Er verliert die Arbeit ... die Wohnung ... die Familie ... Muss dieser Zustand denn für die Ewigkeit sein?
Ist es nicht besser diesen Weg zu beschreiten, anstatt den Jetzigen? Wo siehst Du denn heute lohnenswerte Veränderungen zu einem Besseren?

Vielleicht wäre Dein Junge ja prädestiniert für ein "kontrolliertes Spielen"? Dabei wird der Prozess psychologisch geleitet. Die Klienten lernen durch das hier geschaffene Bewusstsein ihre Sucht steuern zu können und die Meisten entscheiden sich dann doch am Ende für die Abstinenz. Während des Prozesses wird das Selbstbewusstsein erhöht und auch die Selbstwirksamkeit. Er kann sich da ja mal beraten lassen.

Weisst Du, als Mutter ist es vollkommen normal sein Kind beschützen zu wollen. Bei einer Sucht kehrt sich dieser Schutz aber häufig ins Negative um. Da ist dieser Schutz also kontraproduktiv. Schubs ihn ins kalte Wasser und lasse ihn schwimmen lernen ... nicht drüber reden, nicht mit Schwimmärmchen, Rettungsweste und Pressluftflasche auf dem Rücken. So funktioniert schwimmen nicht ... irgendwann musst Du die Hand von seinem Bauch nehmen, damit er merkt, dass er schwimmen muss, damit er nicht untergeht.
Titel: Re: Mutterherz
Beitrag von: Salu am 27 Oktober 2025, 15:56:06
Hallo Olaf,
ich bin sehr dankbar, dass du deine Gedanken hier für mich teilst. Auch wenn ich dies alles irgendwie weiß, verleihen deine Worte dem Inhalt eine weitaus größere Klarheit, aber auch Schwere, da du ja als Ex-Betroffener sehr genau weißt, wovon du redest.  Ja, was habe ich in dieser Zeit des Helfens gewonnen? wohl nichts- nur verloren- zig 10.000nde Euros, ein gebrochenes und krankes Herz und meinen Sohn, Gewinnen konnte ich nur den bisherigen Nicht Untergang meines Sohnes. Der Preis dafür ist hoch, aber Mutterliebe geht über viele Grenzen hinweg bis hin zur Selbstaufgabe. Ich wünsche mir so sehr mein eigenes Leben zurück und habe große Angst, dass er seines nicht schafft.
Liebe Grüße
Salu