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Dieter

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Offline Claus

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Dieter
« am: 28 Mai 2007, 14:18:20 »
Hallo,
ich bin im Schreiben nicht so begabt, wie mein im Jahre 2005 verstorbener Freund Dieter, Trotzdem habe ich überlegt wie ich einen Nachruf über ihn schreiben könnte.
Kennen gelernt hatte ich Dieter vor 18 Jahren in der GA-Gruppe in W., er fiel mir dadurch auf das er sich sehr über die Dinge Gedanken machte gerade in psychologischen, religiösen und vielen anderen Dingen, das brachte zwar Bewegung in die Gruppe rief aber aber auch starke Ablehnung hervor.
Es kam wie es kommen musste Dieter verließ die Gruppe wie er sagte in Freundschaft, obwohl er’s selbst die Gruppe mitgegründet hatte!
Jahre später bin ich ihm in einen Internetforum wieder begegnet und seitdem haben wir uns öfter getroffen und Kontakt gehalten. Anfang dieses Jahres habe ich versucht ihn zu erreichen telefonisch, per Brief und Email aber die Post kam zurück und von seinem Kollegen erfuhr ich, das er im Vorjahr verstorben ist.
Nun habe ich überlegt was ich über Dieter und sein Wesen schreiben könnte und da kam mir die Idee einen Text den er mal in ein Forum stellte (er gab mir zu Lebzeiten die Erlaubnis ihn zu verwenden) als Nachruf auf ihn zu benutzen. Um seine seine großartige Art Herz- und Hirn zu gebrauchen noch mal zum Leben erwecken.


Einleitung:
Hallo Ihr Lieben, der eine/die Andere kennt mich. Andere nicht. Ich bin Dieter, bin spielsüchtig und seit über elf Jahren abstnent.
Lange funktionierte hier bei GA das Prinzip, dass Erfahrene den Unerfahrenen helfen und damit auch sich selbst. Im Moment lese ich viel von Menschen,
die keine Gruppen mehr besuchen, die Probleme mit dem Begriff "Spiritualität" haben, die die 12 Schritte "irgendwie" intellektuell verarbeiten wollen,
die die Schritte nie auch nur versuchsweise lebten. Ich möchte die Schritte mit Euch durchgehen, erklären wie ich sie für mich lebte/lebe.
Vielleicht mag das hilfreich sein, wenn Ihr für "Spielsucht" einfach eure "Sucht" setzt.


1. Schritt:
Wir gaben zu, dass wir dem Spielen gegenüber machtlos sind - und unser Leben nicht mehr meistern konnten.
 Dies war, nach langem Wehren der einfachste Schritt. Ich hatte es mit Vernunft versucht, ich hatte es mit Kontrolle versucht,
ich habe es mit Selbst-Analyse versucht, ich habe es mit der Verarschung von Therapeuten versucht. Nichts ging mehr!
Meine Kontoauszüge, die nicht mehr vorhandenen Freunde, der Stress innerhalb der Familie, mein nicht mehr vorhandenes Selbstwertgefühl,
die Unfähigkeit mich selbst und andere zu empfinden, die Befriedigung meiner Sucht, die noch vor Verantwortung,
Ehrgefühl und Liebe kam, hatten mir deutlich gezeigt, dass ich "mein Leben nicht mehr im Griff" hatte.
Es war mir entglitten. Gemeinsam mit Selbstachtung, Anerkennung anderer und Liebe. Liebe zu mir selbst und Liebe zu anderen.
Ich war ein "arme Sau". Ich war am Ende. Ich kam mit meinen Mitteln nicht mehr weiter.
Und das war alles was ich mir eingestehen musste. Den Selbstbestimmten Dieter gab es nicht mehr.
Ich brauchte dringend Hilfe um nicht körperlich zu sterben. Innerlich war ich schon lange so gut wie tot.


2. Schritt:
Wir kamen zu dem Glauben, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.
 Klar habe ich mich an Begriffen wie "Gott", "höhere Macht" und ähnlichem erst einmal aufgehängt.
Ich war Atheist und stolz darauf. Konnte ich doch in religiös motivierten Diskussionen immer wieder meine geistige Überlegenheit zeigen,
konnte mich lustig machen, ein wenig Schein-Überlegenheit ausspielen.
Immer nur das letzte Aufbäumen eines nicht mehr vorhandenen Egos!
Ich hatte es mit meiner "Stärke" versucht und war kläglich gescheitert.
Wenn es also "da draußen" nichts gab, was stärker war als ich, dann war ich verloren!
Ganz zu Anfang hat mir als "höhere Macht" die Achtung vor meiner Selbsthilfegruppe,
den Menschen dort und deren gesammelter Erfahrung gereicht.
Außerdem habe ich feststellen müssen, dass es Menschen in ähnlicher Situation gab, die noch schlimmer litten als ich.
Die hatten ihren Verstand, ihre Gesundheit und manche ihr Leben verloren.
Also gab es "etwas", dass mich trug, behütete, beschützte. Ich muss es nicht Gott nennen, es kann Zufall, Glück, positive Energie oder wohlmeinendes Schicksal heißen. Von mir aus auch Franz, Fritz oder Helga.
Aber ich kam zu dem Glauben, dass "da" etwas ist das es "gut" mit mir meint.


3. Schritt:
Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes –
wie wir ihn verstanden - anzuvertrauen.

Wieder so ein Aufreger!
"Gott" habe ich gar nicht, als Gar nichts verstanden!
Aber ich war soweit unten, dass ich mich nur noch dem Wohlwollen der Menschen um mich herum und meinem "Schicksal" anvertrauen konnte.
Meine Kraft war erschöpft, hatte keine Erfolge gezeitigt.
Hier beginnt für mich das Gelassenheitsgebet:
"Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
Es beinhaltet alles was ich als Süchtiger wissen und beherzigen muss.
Für "Gott" kann ich jeden x-beliebigen Begriff einsetzen, solange es "etwas" ist, dass ich für stärker als mich selbst erachte.


4. Schritt:
Wir machten gründlich und furchtlos eine moralische und finanzielle Inventur in unserem Innern.

Hier glaube ich, dass es sehr hilfreich ist sich nicht nur auf das Innere zu beschränken, sondern all dies aufzuschreiben.
Die Arbeit daran hat schon etwas Befreiendes und was man
"Schwarz auf Weiß" hat, hat "Wert". Ein Kaufmann macht seine Inventur auch nicht nur im Kopf.
Zu leicht wird etwas übersehen. Kleine Formulierungsänderung meinerseits "eine Inventur unseres Inneren".
Da liegt der Hase im Pfeffer. Warum und gegen wen haben wir Groll?
Was verzeihen wir uns selbst nicht? Was ist arm an unserem Leben?
Was erwarten wir? Was erhoffen wir? Was können wir geben, sind wir bereit zu empfangen?
 And so on.
Diese Gewinn-/Verlustrechnung hilft wirklich weiter.


5. Schritt:
Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegenüber unverhüllt unsere Fehler zu.

Und wieder lohnt es nicht sich an dem Gottes-Begriff aufzuhängen.
Mit der Inventur hatte ich mir meine "Fehler" vor Augen geführt.
Sie einem vertrauten Menschen Häppchen für Häppchen schonungslos offen zu legen war schwer.
Ich fühlte mich klein, erniedrigt, verabscheuungswürdig.
Für das was ich schilderte hätte ich mich selbst angewidert. Im Ergebnis wurde ich mit den Worten“
Und all das schleppst Du mit Dir herum?" in den Arm genommen.
Muss ich schildern wie viele Tränen geflossen sind und wie erleichtert ich mich danach fühlte?


6. Schritt:
Wir waren völlig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen.

Hier wird die Erklärung schwer, aber es war wirklich ein "Ich kann nicht mehr, wer immer Du bist, mach Du es!".
Auch hier kann "Gott" außen vor bleiben. Es geht meiner Erfahrung nur um die unbedingte Bereitschaft sein Leben zu ändern.


7. Schritt:
Demütig baten wir ihn, unsere Mängel von uns zu nehmen.

Meine Fehler hatte ich ja schon erforscht. Jetzt musste ich "nur noch" verstehen, dass ich nicht der Mittelpunkt des Universums bin. Ich musste meinen Platz neu erkennen und bewerten, musste meine Verhaltensweise und meine Weltsicht neu bewerten.
Mein Leitsatz: "Nimm Dich selbst ernst, aber nie zu wichtig!" .Ich wollte lernen der beste Mensch zu sein, der ich sein kann. Und daran arbeite ich tagtäglich.


8. Schritt:
Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugefügt hatten, und wurden willig, ihn bei allen Widergutzumachen.
Und noch so ein ekliger Schritt. Mir die Zahl meiner "Opfer" anzuschauen war schlimm.
Nicht nur meiner "Spiel-Opfer", sondern auch der Menschen, die ich mit Überheblichkeit und verbaler Gewalt verletzt hatte.


9. Schritt:
Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut - wo immer es möglich war - es sei denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt.
Hier musste ich unterscheiden lernen. Ich habe keine "Altlasten" ausgegraben, nur um mich zu entlasten.
Aber überall und immer, wenn ich Menschen traf, die ich irgendwann verletzt hatte, habe ich mich ehrlich und aufrichtig entschuldigt.
Manche hatten die Verletzung gar nicht als solche wahrgenommen und waren sehr überrascht.
Ein "Verzeih mir!" ist ungewohnter als ein "Tritt".


10. Schritt:
Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir Unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.

Hier kommen wir ans Essentielle! Es ist nicht damit getan, die ersten Schritte durchzuhecheln und sich dann zurückzulehnen.
Täglich muss ich für mich selbst feststellen "Lebe ich noch im Programm?". Ich darf mir keine Frust- und keine Schmoll-Ecken erlauben.
Muss mir selbst und meinen Mitmenschen ehrlich gegenüber treten. Muss bereit sein mir und ihnen zu verzeihen, immer wieder.


11. Schritt:
Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott - wie wir ihn verstanden –
zu vertiefen. Wir baten ihn, nur seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben,
ihn auszuführen.

 Hier geht es für mich um ein gewisses Maß an Wertung und Reflektion. Mit einer Bekannten habe ich vor kurzem über "Religion" diskutiert.
Sie hat "Religion und Sekten" gleichgesetzt, bei mir waren es "Kirchen und Sekten".
Religion bemisst sich für mich an ethisch/moralischen Grundwerten, die alle Weltreligionen gemein haben.
Aller Glaube lässt sich für mich auf eine Grundaussage herabdestillieren:
"Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu!"
Gebet ist für mich innere Zwiesprache. Eine Möglichkeit meine Gedanken zu sortieren und mein Gemüt zu beruhigen.
Was den Glauben angeht, Terry Pratchet hat das sehr schön beschrieben. Dem Sinn nach sagt er in seinen Geschichten
"Die Menschen glauben nicht an Götter, aber sie verhalten sich nicht ungebührlich, weil sie nicht sicher wissen ob die Götter nicht an sie glauben."


12. Schritt:
Nachdem wir durch diese Schritte ein seelisches Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft
an süchtige Spieler weiterzugeben und unser tägliches Leben nach diesen Grundsätzen auszurichten.

Die zweite Hälfte ist die "einfachere". Und da sind wir auch wieder beim Gelassenheitsgebet. Ich versuche jeden Tag nach dessen Prämissen zu leben.
Was ich aktiv tun kann tue ich. Was ich ändern kann, ändere ich.
Aber worauf ich keinen Einfluss habe, andere Menschen, das "große Weltgeschehen"", nehme ich so hin wie es/sie nun mal sind.
Da sind wir auch beim Thema verzeihen. Meiner Mutter, meinem Stiefvater, vielen anderen habe ich verziehen. Nicht indem ich Schuld/Verantwortung bei mir suchte,
sondern indem ich akzeptiert habe, dass sie die Menschen waren die sie waren.
Dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Beschränkungen lebten.
Das führt nicht zwangsläufig dazu sie zu lieben, aber dazu sie als schwache Menschen zu akzeptieren und ihnen zu vergeben.
Die erste Hälfte des zwölften Schrittes ist für mich problematischer. Nicht das seelische Erwachen.
Ich fühle mich heute tatsächlich wie nach einem jahrelangen Schlaf.
Einen Großteil meines Lebens habe ich verschlafen. Doch heute bin ich wach und neugierig auf jede Minute, jeden Menschen der mir neu begegnet.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses großartige Geschenk, das mir zuteil wurde entsprechend weitergebe. In persönlichen Kontakten und in Foren wie diesem versuche ich es.
Aber ist das ausreichend?


******


Abschließend möchte ich Euch, süchtig oder co-abhängig mitgeben, haltet Euch an die, die Euer Problem gelebt und überwunden haben.
Hütet Euch vor denen, die meinen "sie müssten aus Interesse auch mal was dazu sagen" und vor denen, die noch bewusst ausagieren. Vor denen, die in wohlfeilen Worten ihr angelesenes "Wissen" verbreiten, Egal ob in Gruppen oder Foren, ich habe so viele Elendstouristen, Hobby-Therapeuten und leidensgeile Wort-Wichser erlebt, die sich an unseren Problemen "hochzogen", von ihren eigenen Defiziten ablenken wollten, oder schlicht unsere "Schwächen" erkannten und ausnutzten.
Sie waren nie gut für "Wachstum", haben mich oft zurück geworfen, wenn ich auf sie "hereinfiel".

Nicht alles was gut klingt tut gut.
Gruß Dieter und Gute 24 Stunden


Überarbeitet von Claus M.
gute 24 Stunden

"Wer kein Ziel hat,
dem stehen alle Wege offen!

*

Offline Jörn

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Re: Dieter
« Antwort #1 am: 30 Mai 2007, 23:30:42 »
Abschließend möchte ich Euch, süchtig oder co-abhängig mitgeben, haltet Euch an die, die Euer Problem gelebt und überwunden haben.
Hütet Euch vor denen, die meinen "sie müssten aus Interesse auch mal was dazu sagen" und vor denen, die noch bewusst ausagieren. Vor denen, die in wohlfeilen Worten ihr angelesenes "Wissen" verbreiten, Egal ob in Gruppen oder Foren, ich habe so viele Elendstouristen, Hobby-Therapeuten und leidensgeile Wort-Wichser erlebt, die sich an unseren Problemen "hochzogen", von ihren eigenen Defiziten ablenken wollten, oder schlicht unsere "Schwächen" erkannten und ausnutzten.
Sie waren nie gut für "Wachstum", haben mich oft zurück geworfen, wenn ich auf sie "hereinfiel".

Nicht alles was gut klingt tut gut.
Gruß Dieter und Gute 24 Stunden


Überarbeitet von Claus M.


Das hättest du einfacher sagen können......

Seit jeden gegenüber kritisch. Das man nicht jeden trauen kann, müßte jeden normal denkenden Menschen klar sein. Denn wir spielsüchtige waren halt eben Denker, Organisatoren, Manipulierer usw. eben halt Kopfgesteuert.... Da wird uns bestimmt so manche Lügengeflecht schnell auffallen, oder was meinst du ?
"Alte Türen werden sich schließen - neue Türen werden sich auftun - ich muss nur diese neue Türen nacheinander öffnen..."

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Offline Claus

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Re: Dieter
« Antwort #2 am: 30 Mai 2007, 23:57:57 »
Hallo Jörn,
das sind nicht meine Worte die du zitierst sondern die von Dieter aus seinem Resume' der 12 Schritte wie er sie verstanden und gelebt hat.

Außerdem spricht Dieter hier nicht nur speziell die "Spieler" an sondern die Ratgeber und Elendsgaffer die sich berauschen am Unglück  ihrer Mit-Menschen. Das ist wohl ein Unterschied.
Ich persönlich fühle mich als Spieler keinem Klischee, Statistik oder Verallgemeinerung verpflichtet, kann dir da also Nicht zustimmen.
Denn eines ist klar, ich kann nur meine eigene Inventur machen, alles andere ist anmaßend.
gute 24 Stunden
gute 24 Stunden

"Wer kein Ziel hat,
dem stehen alle Wege offen!

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Offline Jörn

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Re: Dieter
« Antwort #3 am: 31 Mai 2007, 22:07:08 »
Ah, da war mein Auge wieder schneller, als die Polizei erlaubt. ;-) Da sieht man, ich bin auch nicht perfekt, muss ich auch nicht sein. Hauptsache nicht gespielt. Aber gut, so sei es denn. Gute 24.
"Alte Türen werden sich schließen - neue Türen werden sich auftun - ich muss nur diese neue Türen nacheinander öffnen..."

Re: Dieter
« Antwort #4 am: 05 Juni 2007, 03:04:30 »
Hallo Claus,
ich kannte Dieter nicht. Bei der Lektüre seiner Worte aber fing ich an dies zu bedauern, denn ich empfand sie als sehr bewegend und sie weckten in mir ein Interesse, den Autor kennen zu lernen. Leider ist dies nun nicht mehr möglich, aber mir als Spieler hat er mit seinen Worten auch nach seinem Tod geholfen.
Ich glaube, Du hättest keinen besseren Nachruf auf Dieter machen können.

Gruß

Enrique

 

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