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10 Jahre Elend und verspielte Chancen

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10 Jahre Elend und verspielte Chancen
« am: 11 Oktober 2022, 13:29:06 »
Hallo zusammen.

Ich habe mich hier angemeldet um mal meine Geschichte zu erzählen. (Alleine wenn ich das hier nieder schreibe werde ich ein besseres Gefühl haben, denke ich mal….)

Ich bin männlich und 27 Jahre alt.

Man glaubt es kaum: auch bei mir fing das total harmlos an.

Als ich 15 oder 16 war kam ein Freund zu mir und fragte mich nach Geld für Spielautomaten. Und ich hatte Original 90 Cent in der Tasche.
Ich hatte ihm diese gegeben und meinte die will ich unbedingt zurück haben da ich schon von Leuten gehört hatte die ihr ganzes Leben verspielt haben. (Hätte ich nur gewusst was mir zukünftig blüht)

Wie dem auch sei, die besagten 90 Cent waren weg. Daraufhin ging ich regelmäßig mit in die Spielhallen und verspielte meine 1-2€… An einem Tag verspielte ich ganze 5€ und für mich war es ein Weltuntergang… Schon da wusste ich das mich die Sucht gepackt hatte.
Was folgte kennt ihr wahrscheinlich nur zu gut.
Die Einsätze wurden natürlich immer größer und um damals an Geld zu kommen habe ich Gold von meiner Familie verkauft um Spielgeld zu haben.

Als ich dann mit 18 anfing selbst zu arbeiten war natürlich mehr Geld da um zu spielen, ich arbeitete  damals in der Schweiz bis ich 22 war.
Netto hatte ich 2.500€ zur Verfügung. Außer meine Autorate verballerte ich natürlich alles in Online Casinos und Spielhallen. Zudem machte ich natürlich noch Schulden. Im Endeffekt kann ich bestimmt 30.000€ jährlich ansetzen an verspieltem Geld. Das bedeutet zwischen meinem 18 und 22 Lebensjahr habe ich an die 180.000€ verspielt….

Stand Schulden 2018: 60.000€ Freundin

Mit 20 lernte ich meine Freundin kennen mit der ich noch bis heute zusammen bin. ( Hört sich im ersten Moment gut an, später aber dazu mehr wie Glücksspiel alles zerstören kann. )

Als ich 22 war (2018) machte ich mich erstmalig selbständig ( Ein Traum das ich von kleinauf herbeigesehnt hatte, ging in Erfüllung)
Mit dieser Motivation wäre es auch meine erste Chance gewesen meine Schulden zu begleichen… Ihr ahnt es, es wurde natürlich nichts draus. Ich verdiente ca. 4000€ netto monatlich und hatte aber mehr Zeit als im Angestelltenverhältnis. Diese Zeit nutzte ich natürlich nicht um die wichtigen Dinge im Leben nachzugehen. Stattdessen standen Casino-Besuche im Vordergrund… Die Schulden häuften sich natürlich und die Probleme wurden größer.
In dieser Zeit bis Ende 2021 müssten es ebenfalls an die 30.000€ jährlich gewesen sein… also weiter 150.000€ verspielt.. nix mit Schulden abzahlen…

Stand Schulden Ende 2021:
Freundin: 130.000€
Kreditkarten Banken etc. 50.000€
Gesamt: 180.000€


Ich will noch erwähnen das Meine Freundin in dieser Zeit schon 5 mal mit mir Schluss machen wollte. Es ging ihr nicht um das geliehene Geld sondern um meine Wesensänderung.
Aber jeder Glücksspieler ist natürlich Profi im Manipulieren, und so schaffte ich es das sie bei mir bleib.
Natürlich ist mein Selbstwertgefühl bei 0 da ich oft Gedanken habe ob sie nicht nur bei mir ist aus Mitleid und nicht aus Liebe…. Es sind krankhafte Schmerzen darüber nachzudenken…. Jedoch sind sie real, alles verursacht durch das spielen…

Dieses Jahr, 2022, bot sich mir eine Möglichkeit mit einer neuen selbständigen Tätigkeit ordentlich Geld zu machen und meine Schulden ein für alle mal zu begleichen. In den letzten 9 Monaten habe ich 350.000€ Netto eingenommen. Diesmal müsste es doch geklappt haben?
Nein!!!!!! Die zweite Chance auch verspielt:
Habe auf einer Seite ein Teil der Schulden bezahlt und auf der anderen Seite mehr Schulden angehäuft:

Stand Schulden Oktober 2022:
Finanzamt: 150.000€
Freundin: 100.000€

Die letzten 9 Monaten waren im meiner „Spielerkarriere“ die schlimmsten überhaupt. Habe in 9 Monaten 150.000€ verspielt.

Habe mich vor einer Woche in ganz Europa sperren lassen. Auch ein extra Schreiben angefügt dass jeder Versuch den ich zukünftig unternehmen könnte um meine Sperre aufzuheben nur dadurch bedingt ist das ich extrem spielsüchtig bin.
Online Casinos sind seit 2020 kein Thema mehr, somit ich auch keine Ausweichmöglichkeit darin sehe.
Von dem alles weiß meine Familie, aber nicht meine Freundin. Sie denkt seit 2020 ich würde nicht mehr spielen. Die Angst verlassen zu werden ist zu groß und die Enttäuschung möchte ich ihr ersparen.
Eine SHG Gruppe würde ich gerne besuchen, jedoch kein Klinikaufenthalt. Aktuell habe ich 10 Mitarbeiter und weiß auch nicht wie lange dieses Geschäft noch läuft. Ob es klappen wird wenigstens das Geld für das Finanzamt aufzuholen oder nicht… diese Ungewissheit macht verrückt… seitdem das Geld zum spielen weg ist und die Sperren aktiv, ist das Leben sehr langweilig geworden. Es ist Schwer etwas zu unternehmen, die Gedanken von dem angerichteten Chaos überwiegen…
Trotzdem habe ich mir vorgenommen nie wieder zu spielen. Wird auch schwierig mit den Sperren, zum Glück.
Es fühlt sich sehr erleichternd an…

Freunde, es fing alles mit 90 Cent an.
Es kann so schnell gehen…
Und je mehr Geld man zur Verfügung hat desto schlimmer ist man drin. Diese Krankheit muss schlimmer als alles andere sein…

Entschuldigt den extrem langen Text. Ich bin jetzt bewusst nicht darauf eingegangen wie genau ich das Geld verspielt habe. Auch das könnte ein Trigger für uns Spielsüchtige sein. Ich will euch das gerne ersparen…
Jedoch kann ich nur so viel sagen, dass die Gewissensbisse es einfach nicht wert sind.


Ich habe diesen Text auch für mich selbst geschrieben. Ich werde ihn mir sicherlich 5-10 mal täglich durchlesen. So sehe ich was ich angerichtet habe, in der Hoffnung nur nach vorne zu schauen und es in Zukunft besser zu machen.

Hoffe ihr haltet alle durch in eurem Vorhaben diesen Teufel loszuwerden…
« Letzte Änderung: 11 Oktober 2022, 13:47:37 von amammarua »

*

Offline Olli

  • *****
  • 6.904
Re: 10 Jahre Elend und verspielte Chancen
« Antwort #1 am: 11 Oktober 2022, 14:37:38 »
Hi und herzlich willkommen!

Vielen Dank, dass Du Deine Gedanken mit uns teilst! Im Nachfolgenden möchte ich gerne auf ein paar Punkte eingehen!

Zitat
Trotzdem habe ich mir vorgenommen nie wieder zu spielen. Wird auch schwierig mit den Sperren, zum Glück.

Ziele ... wie ist das damit? Sie geben Dir ein positives Feedback, wenn Du sie erreichst. Wie ist das aber mit dem "nie"? Du erreichst dieses Ziel nicht und verspürst auch emotional nicht den Erfolg.
Der zweite Punkt ... woher nimmst Du diese Gewissheit, die in Deinen Worten steckt? Überlege mal rein rational, ob Du mit Bestimmtheit sagen kannst, was morgen oder übermorgen passiert. Klar ... Du benutzt diesen Satz, um Dich selbst zu motivieren. Aber ... er ist eigentlich nicht ehrlich. Du bist dabei nicht ehrlich zu Dir selbst.
Ich biete Dir da lieber die Alternative an Dich auf das Heute zu konzentrieren. Hier und jetzt kannst Du sagen, wie Du für Heute reagieren wirst.
Wenn Du "nur für heute" spielfrei bist, dann kannst Du gerne kurz bevor das Sandmännchen Dir die Augen verklebt, stolz auf das erreichte Tagesziel sein.
Manche hängen sich einen Kalender auf und setzen einen grünen Punkt auf jeden spielfreien Tag. So motiviert Dich die Summe aller Erfolge weiter zu machen.

Die Sperren sind nur Werkzeuge. Wer spielen will, der wird auch einen Weg dorthin finden. Verlasse Dich also nicht darauf!

Zitat
Von dem alles weiß meine Familie, aber nicht meine Freundin. Sie denkt seit 2020 ich würde nicht mehr spielen. Die Angst verlassen zu werden ist zu groß und die Enttäuschung möchte ich ihr ersparen.

Du Held ... ;) - Im Ernst ... echt jetzt? Dieser Passus greift das gleiche Thema auf, was ich gerade schon behandelt habe. Die Aufrichtigkeit!
Du belügst sie seit nun 2 Jahren! Du gibst vor, sie schützen zu wollen - bist aber auch immerhin so aufrichtig zuzugeben, was Dich wirklich schockieren könnte.
Du willst sie aber auch weiter belügen!

Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Genesung nur stattfinden kann, wenn Du mit ganzem Herzen versuchst, im Rahmen des Themas Sucht, Aufrichtigkeit nach Innen und nach Außen zu praktizieren!

Nun ist es so, dass Du jetzt nicht sofort zu ihr rennen und auf die Knie fallen sollst. Wie eigentlich jeder möchtest Du sicherlich auch etwas "vorweisen", was Deinen Worten Gehalt geben soll. Sie sollen sich sicherlich unterscheiden von all den bisherigen Lügen und Manipulationen. Ich sage es Dir gleich ... das erwartet niemand von Dir, außer Du selbst. Hier spielen 2 Dinge eine Rolle - der Wunsch immer aufrichtig zu sein - und Deine Taten sind es. Dazu weiter unten mehr ...

Zitat
Eine SHG Gruppe würde ich gerne besuchen, jedoch kein Klinikaufenthalt.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es besser wäre, wenn Du mal ganz raus aus Deinem Tagesrhythmus heraus kommst, um Dich dann voll und ganz auf Deine Genesung zu konzentrieren. Das müsstest Du aber mal in einer Beratung ansprechen. Du hast ja auch die Möglichkeit eine ambulante Therapie zu machen. Letztlich entscheidest DU ganz alleine ...
Die Taten, die Du machen kannst ... die örtliche SHG regelmäßig besuchen, einen Termin bei einer Suchtberatung machen und regelmäßig hingehen. Eine Therapie in der Form machen, die Dir zusagt!
Trage Dich in die OASIS Sperrdatei beim RP Darmstatt ein. Schreibe hier fleissig weiter ... ;)
Installiere auf allen möglichen internetfähigen Medien eine Schutzsoftware.

Irgendwie klingt mir das alles, was ich bisher geschrieben habe, zu negativ ... Dabei sprichst Du auch einige emotionale Dinge an ...

Zitat
Ich habe diesen Text auch für mich selbst geschrieben. Ich werde ihn mir sicherlich 5-10 mal täglich durchlesen. So sehe ich was ich angerichtet habe, in der Hoffnung nur nach vorne zu schauen und es in Zukunft besser zu machen.

Jein! Führe ein Tagebuch - ob hier oder analog - egal ... führe einfach eines. Dann kannst Du sehen, wo Du einmal warst und Du kannst sehen, wo Du gerade bist.
Oft sehen wir die Fortschritte ja gar nicht, die wir selbst machen. Das sind ja schließlich auch nie Siebenmeilenstiefelschritte, sondern es sind ganz kleine Veränderungen. Durch den Abgleich mit der Vergangenheit werden die Unterschiede aber sichtbar gemacht.

Zitat
seitdem das Geld zum spielen weg ist und die Sperren aktiv, ist das Leben sehr langweilig geworden

Nein, das ist es nicht ... Du hast Dich mit den körpereigenen Glücklichmachern die letzten Jahre massivst überschwemmt. Deine Synapsen müssen sich an das fehlende Dopamin erst wieder gewöhnen. Dann wirst Du auch mit weniger Dopamin aus dem Alltag wieder glückliche Momente erleben.
Die zwei Katzen meiner Schwester kommen mich im Homeoffice täglich besuchen. Beide wollen nicht nur ihr Leckerchen, sie wollen auch Aufmerksamkeit und Zuwendung. Die Momente, wenn ich die in den Armen halte ... unbeschreiblich ... Hey! Ich habe nur die Katzen ... Du hast eine FREUNDIN! (●'◡'●)
Gehe auch raus in die Natur und lausche dieser. Höre das Rauschen der Blätter oder lausche dem Regen, wie er mal stärker oder schwächer wird. Versuche den Standort der zwischernden Vögel zu ermitteln - nur mit Deinen Ohren.

Das Leben ist nicht langweilig - es ist aufregend - mit Höhen und mit Tiefen.

Ich habe beigebracht bekommen immer unter Arbeitsstrom zu stehen. Wer die Fingerchen nicht wandern lässt, der wird nichts!
Paperlapapp ... ich habe den Stress, den ich mir selbst auch noch auferlegt hatte, mit Stress im Spiel versucht zu bekämpfen. Das hat erstaunlicherweise nicht funktioniert ... :)

Die genesenen Spieler sagen fast ausnahmslos, dass sie die Zeit beim Glücksspiel als vergeudete Lebenszeit ansehen. Dazu zählt auch die Zeit für die Suchtmittelbeschaffung, dem Geld. Dem Geld selbst trauere ich aber nicht hinterher, denn ich betrachte es als Investition. Ich habe Geld gegeben und habe erhalten: Bestätigung - Pausen ohne persönliche Probleme - das Gefühl von Freiheit ... und vieles mehr ...





Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: 10 Jahre Elend und verspielte Chancen
« Antwort #2 am: 14 Oktober 2022, 01:09:09 »
Hallo amammarua,

danke das du deine Geschichte geteilt hast.

Ich habe mich hier neu angemeldet hier, und bin erschrocken wie ähnlich fast alle Geschichten sind. Wünsche dir viel Kaft und Erfolg das du es schaffst davon weg zu kommen.




« Letzte Änderung: 14 Oktober 2022, 01:14:43 von Biest88 »

Re: 10 Jahre Elend und verspielte Chancen
« Antwort #3 am: 09 November 2022, 00:14:30 »
„Es fing mit 90 Cent an“ puh! Gänsehaut.

So wahr. Es beginnt immer klein und endet groß, wie ein Krebsgeschwür. Das war auch bei mir so.

Schön, dass du dich auf den Weg machst und ich wünsche dir von Herzen alles Gute!

Re: 10 Jahre Elend und verspielte Chancen
« Antwort #4 am: 10 November 2022, 18:28:18 »
„Es fing mit 90 Cent an“ puh! Gänsehaut.

So wahr. Es beginnt immer klein und endet groß, wie ein Krebsgeschwür. Das war auch bei mir so.

....und bei mir auch.....

 

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