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1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.

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1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« am: 06 November 2023, 22:21:19 »
Hallo....

ich lese hier seit einem Jahr mit. Heute muss ich mir mal unter Tränen und voller Wut alles aus der Seele schreiben. Ich bin leider nicht der beste schreiber und kann meine Gefühle und Gedanken nur sehr schwer in Worten ausdrücken. Ich schreibe einfach mal wild los. Genau seit einem Jahr hat mich der Teufel gepackt und in die Welt der Sportwetten gezogen.

Angefangen hat es im Oktober 2022 mit einer 10€ Wette, gestern habe ich erneut innerhalb von 2 Stunden 1.000€ verzockt und stehe nun bei 9.500€ Verlust. Ich zitter am ganzen Körper und möchte mich selber erwürigen. Ich hasse mich so sehr. Ich bin im September 23 Jahre jung geworden und studiere noch. Bin kurz vorm Bachelor-Abschluss. Ich wohne noch bei meinen Eltern, habe kaum fixe Kosten und arbeite nebenbei als Fahrer, wo ich um die 1000€ pro Monat verdiene. Ich weiß, eigentlich habe ich schon seit meiner Geburt den JACKPOT geknackt. Bei diesen Gegebenheiten, bei diesen Möglichkeiten und alles was ich noch im Leben vor mir habe. Ist mir bewusst... Wieso strecke ich dann trotzdem seit einem Jahr dem Teufel meine Hand aus? Wieso trete ich all das mit den Füßen und verzocke seit 12 Monaten meinen ganzen Monatslohn? Mir war Geld schon immer sehr wichtig, ich wusste wie gut ich es habe, aber ich wollte immer mehr. Ich mache mir jeden Tag Gedanken über meine Zukunft und möchte viel Geld haben, woher dieser Mindset kommt, ich weiß es nicht.

Ich bin ebenfalls ein sehr introvertierter Mensch. Am liebsten gehe ich nur zur Uni, zum Sport oder zur Arbeit. Habe nur um die 3-4 gute Freunde mit denen ich gelegentlich etwas unternehme. Habe bis jetzt auch noch nicht die richtige Frau gefunden. Bin ein echter Einzelgänger und verusche alleine mein Ding zu machen. Wenn es etwas gibt, dass mich bedrückt, spreche ich mit meinen Eltern. Es ist in meinem Fall die langeweile und die Gier nach schnellem Geld und vor allem sein verlorenes Geld um jeden Preis zurück zu gewinnen die mich in diese scheiß Sucht getrieben haben. Nach einigen Gewinnen in der Anfangsphase war ich gefangen und habe mit Geld, dass ich nicht brauche, versucht schnell mehr zu haben. Es gab Zeiten von 5.000€ Gewinn an einem Tag und mehreren Tausend €€€ Verlust an einem anderen. Nie habe ich es geschafft, davon weg zu kommen. Ich hatte mein Verlust von 8.000€ auf 3.000€ gesenkt und wollte trotzdem um jeden Preis zurück auf die 0, bis ich wieder mein Gewinn und meine Zeit verloren habe. Ich hatte zwischendurch immer mal wieder Phasen wo ich für paar Wochen nicht gespielt hatte, mir ging es dann immer besser, bis plötzlich die Sucht, die Gier und der Lohn wieder da war und zack, wieder sind Tausend € weg. Vor etwas mehr als einem Monat hatte ich Geburtstag und hatte beschlossen einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, mein Geld von nun an immer auf mein Sparkonto zu überweisen und die Zockerei ein für alle mal sein zu lassen. Gestern dann ein erneuter Rückfall, erneut meinen ganzen Lohn verspielt. Seit einem Jahr arbeite ich nur um die Taschen der Wettbetreiber zu füllen. Die Motivation überhaupt zu arbeiten sinkt, da das Ende vom Lied immer gleich ist. Ich hätte 9.500€ zur Seite legen können und habe sie verbrannt.

Mich bringt vor allem folgender Gedanke täglich um - 9.500€!!! In ein paar Jahren eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto, dieses Geld hätte und werde ich gut gerbauchen können, aber es ist weg.

Meinen Eltern habe ich vor paar Monaten alles erzählt. Sie waren entesetzt und konnten nicht begreifen, wie ein Junge wie mir, dem wortwörtllich die Welt vor die Füße gelegt werden so eine Dummheit begehen kann. Meine Mutter war besonders enttäuscht und hat geweint. Meine Eltern erklärten mir, dass niemand etwas von mir erwartet und sie nur das beste für mich wollen und ich ein glückliches Leben führen soll. Geld kann man sich immer verdienen, aber Geld ist nicht das wichtigste. Ich versprach ihnen aufzuhöhren.... ich tat es nicht, aber ich kann ihnen von den letzten Rückfällen nicht erzählen, ich kann ihnen sowas nicht nochmal antun, ich fresse es in mich hinein und lasse es hier an euch aus. Und trotzdem muss ich ihnen jeden Tag ins Geschicht gucken mit dem Wissen sie belogen und enttäuscht zu haben. Mit dem Wissen trotzdem weitergespielt zu haben, obwohl ich versprach es nicht erneut zu tun.

Wenn ich etwas gelernt habe aus dieser Sucht, dann wie wichtig die Familie, Freunde, Freiheit, Zeit und Gesundheit ist. Ich sehe die Welt von nun an mit anderen Augen. Ich bin noch jung und habe noch mein Leben vor mir. Zumindest 6.000€ konnte ich bis jetzt zur Seite legen und habe es ohne Schulden geschafft. Trotzdem bilde ich mir jeden Tag ein wie ich für die Zukunft 9.500€ mehr haben würde. Es ist sowas von enorm viel Geld für mich! Während andere Menschen alles für etwas Essen und Trinken tun würden, verspiele ich innerhalb von 2 Stunden 1.000€. Diese Gedanken, diese Schuldgefühle kontrollieren mich! Ich möchte hier auch keine Mitleid Kommentare erzeugen. Ich und nur ICH habe mir das selber ausgesucht und trage die Schuld für meine Dummheit. Heute habe ich eine OASIS Sperre beantrag. Vor einer Selbshilfegruppe oder Therapie habe ich mich immer gedrückt, werde ich auf jeden fall aufsuchen, muss ich aufsuchen, denn alleine schafft man es nicht, sondern wird nur tiefer in die Scheiße getrieben. Die Gedanken und der Reiz nach dem Wetten sind für jetzt weg.... NEIN, sie BLEIBEN weg. Die Angst vor einer Eskalation die mich ein für alle mal auslöschen wird ist noch da, aber auch die werde ich überwinden! Ich möchte das alles wirklich nicht mehr!
« Letzte Änderung: 06 November 2023, 22:45:09 von NeverGiveUp »

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Offline Olli

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Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #1 am: 07 November 2023, 06:49:49 »
Hi und willkommen, Nevergiveup!

Sich zu wünschen, dass man Geld auf dem Konto haben muss, um glücklich zu sein, ist eine so genannte Fokussierungsillusion.
Es ist vergleichbar mit dem kleinen Kind, welches ein Eis bekommen hat und dem die Kugel aus der Waffel herausfällt. Es fängt an zu weinen und die Welt geht unter. In diesem Moment gibt es nichts Wichtigeres, als der Verlust der Eiskugel!
Wenn wir aber erwachsen werden, dann stellen wir fest, dass es nicht so wichtig ist, dass die Kugel nun auf dem Boden liegt und ungenießbar geworden ist. Wir sind traurig, doch der Schmerz vergeht schnell.
Was unterscheidet uns aber von dem Kind? Es ist die Fähigkeit auf Distanz zu gehen! Ein paar Meter gedanklich zurück zu treten und uns klar zu machen, dass die Kugel eben nur eine Kugel von Vielen ist. Wir können uns ja eine neue kaufen.

In der Suchthilfe wirst auch Du Distanz aufnehmen lernen. Deine bisherigen 9500 € Verlust sind zwar ärgerlich, aber auch kein Weltuntergang. Klar, wenn Du weiter wettest, wie bisher, wird das nur der Anfang sein und Deine Ziele von eigener Wohnung etc. rücken in weiter Ferne. Du verlierst aber weitaus mehr als nur das Geld. Es ist einmal Lebenszeit. Mit 23 Jahren ist die Welt noch jung und das älter Werden scheint so unendlich weit weg zu sein. Das ist es aber nicht. Irgendwann wachst Du auf und es sind 20 oder mehr Jahre vergangen. Dann verlierst Du Deinen Selbstwert. Schaue an, wie Du Dich jetzt schon selbst peinigst, weil Du dem Glücksspiel scheinbar nichts entgegen zu setzen hast. Hier vermute ich bei Dir sogar eine so genannte negative Verstärkung, d.h. grob umschrieben, dass die negativen Gefühle Dich weiter spielen lassen, was zu noch mehr negativen Gefühlen führt.
Du schiebst aber auch Deine Werte anseite. Dir ist bewusst, dass Du Deine Eltern belügst, wenn Du ihnen Deine Situation verschweigst. Du tust es aber trotzdem, weil Du sie nicht belasten möchtest, so der vorgeschobene Grund. Tatsächlich ist dies aber ein Symptom der Sucht sich selbst zu beschützen. Es wird aber herauskommen ... das tut es immer. Und was passiert dann? Werden Deine Eltern nicht noch mehr verletzt sein, als jetzt durch die Wahrheit? Sie machen sich Sorgen um Dich. Sie lieben Dich. Doch Du isolierst Dich von ihnen und sie werden in ihrer Hilflosigkeit genau das Gleiche tun in naher Zukunft: Sich von Dir zurückziehen, weil Du das ja scheinbar möchtest.

Es gibt für die Genesung nur einen Weg: absolute Aufrichtigkeit nach Innen und nach Außen! Sie beeinflussen sich immer gegenseitig. Wenn Du nach außen nicht aufrichtig bist, dann musst Du an Deine Lügen glauben, damit sie auch glaubhabt rüber kommen. Damit belügst Du auch Dich selbst. Es funktioniert aber auch anders herum. Wenn Du ehrlich nach außen bist, dann wirst Du auch ehrlich zu Dir selbst sein.

Wenn Du gegen Deine Werte verstößt, dann entsteht da in dir eine Dissonanz, die nur zu negativen Gefühlen führt. Also sprich mit Deinen Eltern.

Du hast schon erkannt, dass Du Unterstützung benötigst. Diese nun einzufordern ist eine Kompetenz! Höre ruhig in Dich hinein und höre auf die Wiederstände in Dir. Sie sind gewaltig, nicht wahr? Ein dicker Batzen davon ist wieder die Sucht, die sich schützen möchte. Also ergreife ruhig die Hände, die da draussen überall ausgestreckt sind. Du musst sie aber ergreifen - niemand sonst.

Und dann gehe auch zu Deiner Sucht auf Distanz! Das ist nicht einfach, wird aber von mal zu mal einfacher.

Noch einmal zur Fokussierungsillusion: Du wirst nicht glücklicher sein, wenn Du Geld auf dem Konto hast. Du wirst nicht mehr Freunde haben und Du wirst auch nicht an jeden Finger einen "Schuss" haben, wie der Kölner sagt. Was also stört Dich, dass Du Dich auf Geld so fokussierst? Du sprichst hier selbst an, dass Deine Eltern Dich so lieben, wie Du bist und keinerlei Erwartungen in Dich stecken. Wieso also stellst Du sie an Dich selbst? Finde es heraus ...

Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

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Offline andreasg

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Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #2 am: 07 November 2023, 10:35:50 »
Guten Morgen Nevergibup,

Herzlich Willkommen auch von mir im Forum, und schön, daß Du Dich öffnen kannst.

Ich habe nach dem Lesen Deines Beitrags die Zahl 9.500 im Kopf gehabt, und diese in meinen Gedanken bewegt. OK, ich bin jemand, der gerne mit Zahlen jongliert, u.a. schaut, ob diese mystisch sein können.

Aber  hier geht es ja schlicht und einfach um reale begreifliche Dinge, die das Leben ausmacht: Berufliche Karriere, Familie gründen, Haus bauen, Baum pflanzen, eben das, was Männer so alles tun.

Ich weiß noch, wie ich in ein Bekleidungsgeschäft in einer belebten und angesagten Fußgängerzone ging, mir dort ein Herrenhemd kaufte, und anschließend in eine Euphorie fiel. Ich hatte es wirklich geschafft, mein Geld für etwas nützliches auszugeben, und ich hatte endlich wieder ein Hemd, ohne abgestoßenen Kragen!
Es macht nicht Bumm! - Das Spielen ist vorbei, und die Welt ist wieder in Ordnung. Die 9500 ist auf der Stirn geschrieben, festgenagelt in Schuld und Scham.

Wir Spielsüchtigen müssen zuerst eine finanzielle Inventur machen, um festzustellen, daß Geld sich in Zahlen bemisst, und nicht in die Mülltonne geschmissen werden braucht! Natürlich auch das Lebensgefühl. Von den von mir beschriebenen Idealen ist mir verbrieft nur ein einziges gelungen: nach einem Klinikaufenthalt anno 2003 wurde für mich im Thüringer Wald ein Baum gesplanzt. Das rührt mich immer noch zu Tränen.

Und so sind es kleineSchritte, vielleicht einmal Pause einlegen, ins Cafe gehen und für 9,50 € Kaffee und Kuchen genießen, ohne das Lieblingsscxeißgefühl. Am besten natürlich zu zweit am Tisch, das kostet dann 19,,00 @, aber Punkt 2 will auch beachtet werden. Ich meine generell erst einmal die Beziehungsfähigkeit wieder ins Leben rufen. Und dann kann es gelingen.
Es sind die kleinen Schritte, die zur Spielfreiheit führen.

Zwei wichtige Werkzeuge der Genesung möchte ich Dir auch gerne in die Hand legen : Besuche Meetings in der Selbsthilfegruppe, die Du finden wirst, und dann vor allem das Schreiben, als ein Werkzeug für eine Bestandsaufnahme für Dich, und Deine Finanzen.

schöne 24 Stunden
Andreas
Demut ist die anhaltende Ruhe im Herzen

Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #3 am: 09 November 2023, 22:31:53 »
Danke euch für den Austausch. Es tut gut mal Menschen über dieses Thema zu schreiben. Ich gebe weiterhin mein bestes. Ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass der Suchtdruck nicht da sei. Dazu würde ich gleich einen neuen Beitrag posten.

Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #4 am: 27 November 2023, 22:53:17 »
Hallo!

Als ich vor fast genau 2 Jahren angefangen habe, selbstbestimmtes zu leben, habe ich auch viel an die Verluste gedacht. Du kannst es im Forum nachlesen.


Ich habe mir das sogar noch schön gerechnet. Aber weißt du was? Es spielt keine Rolle!

Das Geld ist weg und auch deine kostbare Zeit, deine Energie und die verschwendeten Stunden in einer emotionalen Achterbahn ohne Ende.

Schreib es ab, lass es hinter dir. Nenne es Lehrgeld, dass du teuer bezahlen musstest…was auch immer.

Glaub mir, die Summe juckt dich nach einem Jahr nicht mehr wenn du zurückblickst und dann auf das JETZT.

Ich hab ca. 15 Jahre regelmäßig gespielt und als Corona kam und meine Mutter gestorben ist, da wurde es richtig wild. Ich hab nur noch funktioniert.

Ich hatte Geld, ja. Ich war nie wirklich pleite. Aber macht es das besser? Ich habe mit dem Erbe meiner Mutter gespielt für den 2€ Drücker-Kick wenn ich betrunken in meiner Küche saß und an meiner Frau vorbei gelebt habe.

Ich schäme mich nicht. Ich bin nur froh, dass ich den Weg raus geschafft habe. Und ich wünsche dir von Herzen dasselbe!

Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #5 am: 28 November 2023, 01:41:15 »
Hey Anthrazit,

Danke für deine Antwort! Es sind jetzt fast 4 Wochen vergangen seit dem ich zuletzt gespielt habe. Dieses mal ist es echt anders. Der Gedanke sein Geld zurück zu holen ist nicht mehr so stark wie sonst. Habe heute mein Gehalt bekommen. Normalerweise ist das der Tag an dem die Wett App angemacht wird, eingezahlt wird und gezockt wird. Dieses mal jedoch kommen schon Schuldgefühle und Gedanken an meine liebsten hoch wenn ich schon an das Zocken denke. Der drang ist nicht mehr so stark. Im Gegenteil, der Gedanke Geld zu verlieren/gewinnen wiedert mich an! Jetzt ist aktuell einiges besser geworden, ich hoffe auch an schlechten Tagen und schlechten Umständen kann ich den Druck unterdrücken.

Re: 1 Jahr der Sucht und voller Schuldgefühle.
« Antwort #6 am: 28 November 2023, 09:20:18 »
Hey!

Ich kann dir sagen, bei mir ist es auch immer wieder der Gedanke an die Konsequenzen und Emotionen gewesen, der mich schnell wieder auf andere Gedanken gebracht hat, wenn ich mal einen Trigger hatte.

Das erschreckenste an dieser Sucht ist, wie sehr man die Kontrolle verliert, wieviel man sich und andere belügt und eigentlich ein richtig beschissenes Leben führt.

Wünsche Dir viel Kraft 💪

 

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