Dein Text hat eine große Kraft, dass Du Dich selbst mit offenen Händen und verletztem Herzen in die Wahrheit hineinlehnst. Ich möchte Dir so antworten, mit Poesie, aber auch mit dem Wissen darum, was im Inneren von Körper und Seele geschieht.
Die Spielsucht wirkt nicht nur wie ein Schatten im Geist, sie schreibt sich in unsere Biochemie ein. In dem Moment, in dem wir spielen, tanzen Botenstoffe wie Dopamin, Adrenalin und Endorphine durch unsere Synapsen. Es ist ein Feuerwerk, das kein Jeton, kein Kartenblatt, kein Bildschirm tatsächlich in sich trägt – sondern unser Gehirn selbst entzündet. Deshalb fühlt sich Glücksspiel so greifbar an, obwohl es nichts Materielles ist: unser eigenes Nervensystem macht es zu einer Realität. Doch wie bei jeder stofflichen Sucht ist auch hier nicht nur die Substanz entscheidend – auch der Alkoholiker hängt nicht bloß am Alkohol, sondern an der Wirkung, an dem inneren Ritual, an dem unsichtbaren Trost. Sonst würde der Entzug genügen und alles wäre vorbei.
Jeder Glücksspielsüchtige Mensch trägt dabei seine ganz eigene Geschichte. Manche finden den Weg über Therapie, andere über Meetings, wieder andere über schmerzvolle Umwege. Und doch teilen wir etwas: dass die Sucht zum Stillstand gebracht wird. Stillstand – nicht unbedingt Frieden, denn der Suchtdruck ist oft wie ein Sturm, der wieder aufzieht. Und in diesem Sturm brauchen wir Waffen, die nicht verletzen, sondern verwandeln: Bewegung, Musik, Atem, Natur. Schnapp Dir Kopfhörer, lass Deine Lieblingsmusik Deine Adern füllen, renne, laufe, springe, fahre Rad oder Inlineskates – aber gib Deinem Körper die Möglichkeit, die angestaute Energie zu entladen. Und wenn es möglich ist, setz Dich danach in den Wald, horch in Dich hinein, lausche, wer Du bist, wenn der Sturm abebbt.
In Deinem Text lese ich etwas, das mich berührt: als würdest Du die Spielsucht fast beschützen, als würdest Du sie mit einer zarten, romantischen Hand umhüllen. Dieses Verhalten kenne ich – aus der Psychologie, aus dem nackten Überleben. Ich selbst lernte früh, Mitgefühl für den Täter zu entwickeln, um nicht zerstört zu werden. Ich lebte mit einem Stiefvater, der eine Waffe im Nachttisch hatte, und seine Brutalität gipfelte oft in der Drohung diese gegen mich zu richten. Ich tat jahrelang alles erdenkliche, um ihn bei guter Laune zu halten und somit für eine friedliche Stimmung zu sorgen. So lernte ich: Beschütze das, was Dich bedroht. Später tat ich es in Co-Abhängigkeit, bis ich selbst süchtig wurde. Kannst Du Dir vorstellen, was für ein Mensch aus so etwas hervorgeht? Sicher keiner, der sofort frei, erfüllt und selbstbestimmt lebt. Doch genau dort beginnt die eigentliche, alles entscheidende Frage:
Wer bist Du?
Nicht als Spieler, nicht als Süchtiger, nicht als Opfer der Umstände – sondern jenseits von all dem.
Wer bist Du, abseits der Konventionen, abseits der Masken, abseits dessen, was andere in Dir sehen?
Was macht Dich liebenswert ,was nicht und wer darf das überhaupt entscheiden?
Im Meeting stelle ich mir diese Frage immer wieder, wenn ich Menschen begegne, die dasselbe teilen – und doch eine völlig andere Geschichte erzählen. Meine eigene Geschichte geht so: Nachdem ich das Spielen beendet hatte, kam der Druck, stärker als ich je gedacht hätte. Ich begann eine Therapie, ging in Meetings, lernte Struktur. Ich stellte die Spielfreiheit in den Mittelpunkt, weil ich erkannte, dass die kritische Zeit vorbeigeht, wenn man sie übersteht. Heute stütze ich mich auf Bewegung, Musik, absolute Ehrlichkeit, auf lange Sonntage im Bett, Kuchen, Bücher, Gespräche – und wieder Sport, immer wieder Sport.
Und nun frage ich Dich:
Wenn die Karten, die Jetons, die Bildschirme verschwinden – wenn der Schatten vergeht – wer bleibt dann übrig?
Vielleicht bist Du ein Mensch, der lacht, wenn niemand zusieht. Vielleicht jemand, der tanzen möchte, aber noch nicht die Musik gefunden hat. Vielleicht jemand, der längst geliebt wird, ohne dass er es je beweisen müsste.
Die Antwort ist kein Ergebnis, sondern ein Weg. Und gehe ihn hier, Schritt für Schritt, Wort für Wort, Atemzug für Atemzug.
Also frage ich Dich noch einmal – nicht als Süchtigen, nicht als Opfer, nicht als Romantiker der Sucht:
Wer bist DU?
Herzlichst
Eva