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Abrupt aufgehört.

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Abrupt aufgehört.
« am: 23 Juni 2025, 15:51:44 »
Hallo, ich hab über zwei Jahre Sportwetten gemacht und zwar täglich. Hab mir auch oft Geld geborgt. Mein Einsatz waren immer zehn manchmal fünf Euro. Am Schluss war ich immer extrem emotional wenn eine Wette schief ging. War so oft wegen nur einem Tor. Hatte oft richtige Ausraster.
Vor zwei Wochen ging abends mein Handy plötzlich kaputt. Hatte noch eine offene Wette an dem Abend. Plötzlich war ich so isoliert und abgeschottet. Laptop war wo anders und zweit Handy hatte ich keines. Am nächsten Tag fingen dann so Angstzustände an und so phobiescher Schwindel. Hab noch versucht am nächsten Tag ein Handy aufzutreiben, aber erst zwei Tage später hat ich eins. Hab aber seit dem nicht mehr gewettet. Nur geguckt ob die eine an dem Abend aufgegangen ist.
Seit zwei Wochen hab ich jetzt so Angstzustände und so ein komisches Gefühl im Kopf von gedanklicher Leere. Wie wenn ich nicht mehr ganz ich selbst bin. Kann das mit dem plötzlichen und abrupten aufhören zu tun haben? Ich muss dazu sagen das ich eine generalisierte Angststörung habe. Allerdings schon dreizehn Jahre. Bin gut medikamentös eingestellt gewesen. Kann einem das wetten wenn man so abrupt aufhört so extrem aus der Bahn werfen? Das wetten war lange Zeit mein einzigster Spaß und Lebensinhalt.
Wie finde ich wieder zu mir selbst? Und gehen dann die Ängste wieder weg?
Vielen Dank!

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Offline Olli

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Re: Abrupt aufgehört.
« Antwort #1 am: 23 Juni 2025, 17:31:58 »
Hi Michi!

Herzlich willkommen!

Wir sind alle keine Ärzte und können daher oftmals auch nicht die Zusammenhänge bei komorbiden Störungen beurteilen.
Doch etwas lässt mich aufhorchen und verleitet mich dazu, Dir ein wenig über Endorphine zu erzählen, laienhaft natürlich.

Endorphine sind körpereigen Opioide, die zum Belohnungssystem der Menschen gehören. Sie werden in der Hypophyse gebildet, wandern durch den Körper und docken dann an irgendwelchen Rezeptoren an, die uns dann z.B: in Hochstimmun versetzen.

Bei einer Sucht geschieht dies auch. Allerdings hat der Süchtige das Bedürfnis nach mehr. Also steigert er die Dosis oder/und auch den Zeitaufwand. Der Körper macht aber dicht und die Rezeptoren nehmen nur noch einen Bruchteil der vorhandenen Endorphine auf. So lange die Sucht ausgeübt wird, ist das kein Problem.

Doch Du hast von jetzt auf gleich aufhören "müssen", der Technik sei dank! Nun bekommst Du nur noch durch alltägliche Situationen Deine Dosis.
Die ist aber weitaus niedriger, als die zu Zeiten der Sucht. Das Ergebnis ist das Empfinden einer Leere. Nun, ich habe aber gute Neuigkeiten ... dabei bleibt es nicht. Dein Körper wird sich wieder an die Alltagsdosen gewöhnen, sodass auch die Leere wieder verschwindet.

Da Du ja bereits erwähntest, dass Du medikamentös eingestellt bist wegen Angststörungen, würde ich das Thema mit Deinem Arzt besprechen.
In der Situation selbst hattest Du Dir erhofft, durch das Ergebnis der Wette Dir Deine Endorphindosis abzuholen. Das Handy ging kaputt und eine Panik setzte ein, da Du nun Dein Ziel nicht mehr erreichen konntest.
Jede Sucht bedient die Emotionen. Diesen Prozess, so vermute ich waghalsig :) , hast Du wohl durch die Panikattacken unwillentlich ersetzt.

Zitat
Am Schluss war ich immer extrem emotional wenn eine Wette schief ging. War so oft wegen nur einem Tor. Hatte oft richtige Ausraster.

"nur ein Tor"? Weisst Du, was falsche Glaubenssätze sind? Das sind Überzeugungen, die man sich aneignet oder übernimmt und dann gar nicht mehr überprüft. Hier möchte ich Dich darauf hinweisen, dass das System eben gerade möchte, dass Du denkst, dass es sowas von knapp gewesen ist. Aber das System funktioniert nun mal so. Es hat nichts mit Dir zu tun, mit den Sportlern, den Vereinen, dem Sonnensturm oder dem Sack Reis, der in China umgefallen ist.
Tobias Heyer von der Uni Bremen, ich habe ihn schon ein paar mal genießen dürfen, erzählt immer von seinem inoffiziellen Test. Mit seinen Studenten hat er sich zwei kleine Zielgruppen zusammengestellt. Die einen waren sportaffin, die anderen nicht. Sie ließen beide Gruppen wetten. Nun rate Du mal, welche der Gruppen mehr richtige Ergebnisse hatte. Die Sportaffinen? Falsch! Die Anderen? Ebenso falsch.
Tatsächlich waren die Wettergebnisse nahezu identisch. Allerdings gab es einen großen Unterschied. Es war die Höhe der Einsätze. Die Wettaffinen, im vollsten Vertrauen auf ihre Kompetenzen, hatten weitaus höhere Einssätz getätigt und hatten demzufolge auch die höheren Verluste.

Ich bin zu meiner Zeit beim Automatenspiel zwar nie ausgerastet, wütend war ich aber auch oft genug. Ich war schon einige Jahre abstinent vom Glücksspiel, da merkte ich, dass ich in der Kneipe beim Knobeln oft die gleiche Wut verspürte ... oder beim Darten um Runden ...
Beides stellte ich ein, sobald es mir bewusst war.
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

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Offline andreasg

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Re: Abrupt aufgehört.
« Antwort #2 am: 23 Juni 2025, 17:40:55 »
Hallo Michimic,

Herzlich Willkommen im Forum,

mein dringender Apell an Dich: wende Dich an Deinen behandelnden Arzt. Gerade wenn eine Medikamenteneinstellung erfolgt ist, kann nur der Mediziner festlegen, wie die Therapie weiter verfolgt werden kann.

Dir ist ja ungewollt etwas aus Deinem Leben weggerissen worden, die Sportwetten. Steht dahinter ein Sinn, ein Wegweiser, eine Reincarnation? Was bbleibt dann noch? Sich die andere Seite des Glücksspiels anzusehen, ich meine nicht die Auswirkungen auf das Sportgeschehen und die Volkswirtschaft,, sondern die Frage nach der Abhängigkeit zu stellen, das ist der Weg, neue Ziele zu definieren.
Spontan habe ich an einen Hund gedacht. Ein Tier, ein treuer Wegbegleiter, der seine Aufmerksamkeit, sein Futter, seinen Auslauf, seine Streicheleinheiten braucht.
Das schafft Neues Vertrauen, eben dieses Vertrauen, daß durch das Glücksspiel verloren ging. Hier erinnere ich mich an die Prävention in der Drogensucht.
Aber Dein Arzt wird Dir wohl Wege zeigen können, und ich hoffe für Dich, auch therapeutische Hilfe zu finden.
Das Schreiben im Forum, dgerne ein Tagebuch eröffnen, ist nicht nur für mich ein wichtiges Werkzeug, mein Gleichgewicht immer wieder neu auszurichten.
Ich wünsche Dir viel Erfolg

schöne 24 Stunden
Andreas
Demut ist die anhaltende Ruhe im Herzen

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Offline Rubbel

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Re: Abrupt aufgehört.
« Antwort #3 am: 23 Juni 2025, 18:30:08 »
Hallo Michi..
ich denke nicht, dass Wetten oder Glücksspiel Lebensinhalte sein können. Diese 'Beschäftigung' hat höchstens den 'Vorteil' (bzw Nachteil), dass Du Dich mit anderen Dingen und MIT MENSCHEN nicht beschäftigen 'musst' und  Dir keine Gedanken machen brauchst, wie Du Deinen jeweiligen Tag gestaltest, weil Du immer wieder 'schon was vorhast'.
Wie gut, dass jetzt was dazwischen kam,  was Deine 'Pläne', das Wetten, unterbrochen hat :)

Du siehst, hast gemerkt, wie sehr Du auf das Wetten gesetzt hast - in mehrfachem Sinn. Und durch diese Alarmglocken ist vieles durcheinander geraten. Dennoch tut es Dir gut, da bin ich sicher. Oder gerade deshalb. Du spürst Dich wieder, das ist ein Geschenk!
Klar bin auch ich dafür, dass Du zum Arzt gehst ... ist das ein Neurologe? Erzähl ihm bitte die Zusammenhänge.

Es gibt viele Menschen wie Dich, die nicht so redselig sind und lieber vor sich hin und mit sich allein Zeit verbringen. Ein gewisses
Maß an Kontakten sollte sein ... Deshalb empfehle ich Dir auf jeden Fall eine Selbsthilfegruppe für Glücksspielsüchtige - für Kontakt allgemein und weil dort alle wissen, wovon Du sprichst. Ich habe mich immer super wohl gefühlt mit den Menschen dort.
Hier zu schreiben ist sowas wie 1. Grundversorgung, SHGs sind da schon intensiver, vor allem weil die Leute einander sehen, weil sie 'greifbar' sind.

Viele Grüße
Rubbel







« Letzte Änderung: 23 Juni 2025, 18:53:22 von Rubbel »
--Meist ist Geist geil--

Re: Abrupt aufgehört.
« Antwort #4 am: 23 Juni 2025, 22:07:00 »
Hi Michimic,

schön dass Du geschrieben hast. Meine Vorredner haben eigentlich das Wesentliche gesagt.
Ich möchte hier nur noch eine Warnung hinzufügen und das aus eigener Erfahrung.
Wenn Du jetzt das Handy wieder aus packst und das zocken erneut anfängst ist die Wahrscheinlichkeit dass sich die jetzige Situation wieder etwas bessert relativ hoch.
Ich kann dir jedoch auch sagen dass dieser Effekt nur zeitweise hält und deine Probleme danach mit doppelter Wucht zurückkommen.

Ich sitze gerade auf dem Sofa und schaue mir , OK der Fernseher läuft. Nebenbei lese ich in Forum und stolpere über deinen Beitrag. Das lässt mich wieder ins Grübeln kommen wieso ich fast zwei Jahrzehnte diesen Mist gemacht habe. Ich finde ihn immer noch nicht außer dass ich vielleicht von anderen Problemen ablenken bzw diese verdrängen wollte.
 Wenn Du dich mit dir und deiner Sucht bzw auch den OC's richtig beschäftigst und eine Liste mit pro und contra erstellst wirst du schnell merken dass für erstere Kategorie wenig zum schreiben da ist.
Und ja gehe zu deinem behandelnden Arzt und erzähle ihm davon. Er wird dich sicher beraten oder weiter vermitteln können.

LG Roy

 

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